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Glaube macht Politik

Warum Luther nicht anders konnte

Für Luther war der Glaube etwas, das jeder Christenmensch persönlich mit Gott auszumachen hatte. Dazwischen stellte sich
aber nicht nur die alte Kirche, sondern auch der moderne Staat. Mit dramatischen Folgen für den Frieden

Lutherstatue in Dresden

Martin Luther wollte die katholische Kirche reformieren. Am Ende kam es zur konfessionellen Spaltung. | © Istockphoto.com/querbeet

Was kann dieser Dr. Luther der donnernd vorgetragenen Forderung »Widerrufe!« entgegensetzen? Eine ungleichere Konfrontation ist kaum vorstellbar: Auf der einen Seite eine Mauer aus Gold und Purpur, edlen Fellen, Seide, Brokat – dort sitzen die Großen des Heiligen Römischen Reiches, Kurfürsten und Landesherren, Kardinäle und Bischöfe, in ihrer Mitte der Kaiser persönlich, der junge Habsburger Karl V. Im ­Gefolge befinden sich die namhaften Theologen und Juristen der Zeit. Gegenüber steht ein einzelner Mann, gehüllt in die schlichte Kutte eines Augustinereremiten. Er beharrt auf seinen Thesen. Mit der ­Berufung auf das eigene Gewissen verlässt er den Saal und lässt den Reichstag in Schockstarre zurück.

Reichstag in Worms: Luther hat hoch gepokert

Luther hatte hoch gepokert, allerdings im Bewusstsein, mehrere Trümpfe in der Hand zu haben. Seine Reise nach Worms war ein Triumphzug gewesen. Überall am Straßenrand hatten sich die Menschen versammelt, um dem Mann zuzujubeln, der es gewagt hatte, die päpstliche Bannandrohungsbulle öffentlich zu verbrennen; der die Babylonische Gefangenschaft der Papstkirche angeprangert, die Freiheit eines jeden Christenmenschen verkündet und den christlichen Adel der deutschen Nation aufgefordert hatte, für ­eine bessere Kirche zu kämpfen.

Luther wusste nicht nur weite Teile der Bevölkerung hinter sich. Auch etliche der Fürsten, die in Worms über ihn zu Gericht sitzen sollten, sympathisierten mit seinen Reformbestrebungen. Tiefe Frömmigkeit trieb einige von ihnen an; die zeitgenössische Begeisterung für Bibelstudien hatte sich bis in höchste Kreise verbreitet. Viel stärker wog jedoch das politische Kalkül: Die Landesherren – aber auch städtische Obrigkeiten – erhielten mit dem »Fall Luther« die Gelegenheit, sich gegen die Machtansprüche von Papst und Kaiser zu wehren, die ihnen schon lange ein Hindernis beim Ausbau ihrer Herrschaft waren.

Luther verteidigt seine Thesen

Trotz der Angriffe von katholischer Seite hielt der Augustinermönche Martin Luther an seinen Thesen fest. | © Istockphoto.com/Traveler1116

Luther ist gegen den Ablasshandel

All die Gelder, die als Abgaben und Ablässe nach Rom flossen, konnte man doch viel besser im eigenen Land gebrauchen. Und dass die Geistlichen außerhalb der staatlichen Rechtsordnung standen, war für einen modernen Staatsaufbau ebenso lästig wie kaiserliche Eingriffe in die Landesverwaltung. Mit seinen Attacken auf die »unnütze« klösterliche Lebensform, auf Wallfahrten und Reliquien lieferte der Professor aus Wittenberg zudem willkommene Argumente, um reiche Klöster aufzulösen, ihre Güter zu beschlagnahmen und um silberne und goldene Schreine einzuschmelzen, damit sich die Staatskassen füllten.

Kaiser Karl war die ­pro-lutherische Stimmung in Worms bewusst. Er verabschiedete das ­»Wormser Edikt«, das Luther, seine Anhänger und seine Förderer ­unter Reichsacht stellte, erst, als die meisten Teilnehmer des Reichstags abgereist waren. Unbehelligt aufgebrochen war da auch Luther selbst – nur um auf dem Weg »entführt« zu werden. Doch das hatte Friedrich der ­Weise von Sachsen veranlasst, sein Landesherr. Der setzte »seinen« Dr. Luther auf der Wartburg in »Schutzhaft«, wo er in Ruhe die Bibel übersetzte.

Der Bauernkrieg bricht aus

Für die lutherische Lehre – und die deutsche Sprache – waren die Jahre nach Worms eine fruchtbare Zeit. Sie waren aber auch eine Krisenzeit für die Reformation, was die weitere Geschichte Deutschlands nachhaltig veränderte. Auch Luther musste erfahren, dass nicht alle Geister, die man rief, zu kontrollieren waren. Das mysteriöse Verschwinden des neuen Volkshelden heizte die Stimmung zusätzlich auf; in vielen Städten plünderte und zerstörte der Mob Kirchen und Kunstwerke und bedrohte Mönche und Nonnen, die ihre Berufung nicht aufgeben wollten. Um in Wittenberg die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen, musste Luther sein Wartburg-Exil verlassen.

Zerschlagen wurden aber nicht nur Heiligenbilder, sondern auch theologische Traditionen. Schwarmgeister forderten die (Wieder-)Taufe von Erwachsenen oder verkündeten die soziale und politische Gleichheit aller Menschen. Thomas Müntzer war der ­herausragende, aber nicht der einzige der Prediger, welche die ganze Gesellschaftsordnung mit prä-kommunistischen ­Ideen herausforderten.

Und dann erhoben sich die Bauern. ­Eine Rebellion gegen willkürliche Abgaben und Frondienste am ­Oberrhein entwickelte sich zum Flächenbrand und erfasste bis zum Frühjahr 1525 große Teile von Süd- und Mitteldeutschland. Unter ökonomische und juristische Beschwerden der Landbevölkerung mischten sich zunehmend reformatorische Forderungen wie freie Pfarrerwahl, Ablehnung der Hierarchie und des Zehnten, dafür Bibel und Gottesdienst in der Volkssprache.

Thomas Müntzer Bauernkrieg

Thomas Müntzer war ein Bewunderer Luthers. Im Gegensatz zu diesem stellte er sich auf die Seite der Bauern. | © Rijksmuseum Amsterdam

Luther wendet sich gegen die Bauern

Luther kam also gar nicht umhin, den Anfängen des Aufstandes seine Sympathie zu zeigen. Als aber mehr und mehr Klöster und Adelssitze in Flammen aufgingen, es Tote gab und sich Radikale wie Müntzer an die Spitze der Bewegung stellten, sah Luther seine Reformhoffnungen in Gefahr. Im Mai 1525 verfasste er die Schrift, an der alle Luther-Biografen bis heute schwer zu kauen haben: Im Pamphlet »Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« rief er die Obrigkeit auf, mit aller Härte gegen die Rebellen vorzugehen: »Stech, schlage, würge, wer da kann!« Die Fürsten ließen sich dies nicht zweimal sagen. Der große deutsche Bauernkrieg endete in Blut und Tränen; von der Freiheit des Christenmenschen war auf den Hörigengütern keine Rede mehr.

Spätestens jetzt erkannten die mit der Reformation sympathisierenden Herrscher, dass man die alte Kirche nicht einfach abschaffen konnte, ohne etwas Neues an ihre Stelle zu setzen. Die neue Kirche sollte aber zum modernen Staat passen. In den Erlassen der protestantischen Staaten ab 1527 lag die Ernennung der Geistlichen ebenso in der Hand des Landesherrn wie die Organisation der ­Gemeinden. Schulen und Universitäten standen unter der Aufsicht des Fürsten oder des Magistrats der Freien ­Reichsstädte. Und diese Aufsicht umschloss die Überwachung der reinen Lehre. An die Stelle der katholischen Inquisition traten jetzt protestantische Konsistorien. Dies geschah mit Rückendeckung Luthers, der erklärte, die Obrigkeit ­habe dafür zu sorgen, »dass diejenigen, die durchs Wort nicht wollen fromm und gerecht werden, gedrungen werden fromm und gerecht zu sein vor der Welt« – notfalls durch das Schwert.

Die Türken lagern vor Wien

Um die Legitimation der ­neuen Kirchenordnungen im Reichsverband abzuklären, fand 1526 in Speyer ein ­weiterer Reichstag statt. Kaiser Karl V., vertreten durch seinen Bruder Ferdinand, beharrte auf dem Edikt von Worms. Drängender war inzwischen jedoch die »Türkengefahr« geworden. Sultan Süleyman schickte sich an, Ungarn zu erobern. In der Reformationsfrage einigte man sich daher auf ­einen »Waffenstillstand«, der pro-lutherischen Fürsten Gewissensfreiheit einräumte. Sie nutzten dies umgehend, um den reformatorischen ­Umbau voranzutreiben, und als 1529 ein ­weiterer Reichstag zu Speyer zusammentrat, standen nicht nur die Türken vor Wien, sondern es gab erste etablierte evangelische Landeskirchen. Dennoch versuchte Ferdinand in Kaisers Namen, das Rad wenn nicht zurückzudrehen, so doch aufzuhalten, bis ein Konzil eine Reform durchgesetzt habe. Gegen den entsprechenden Mehrheitsbeschluss erhoben die Fürsten von ­Sachsen, Hessen, Brandenburg-Ansbach, Braunschweig-Lüneburg und Anhalt ­Einspruch, zusammen mit ­einem guten Dutzend Reichsstädte. Dieser Protest von Speyer gab den Protestanten ihren Namen – das Reich war endgültig in zwei konfessionelle Lager gespalten, was im Jahr darauf in Augsburg zementiert wurde.

Krieg gegen den Schmalkaldischen Bund

Nicht abfinden mit dieser Entwicklung wollte sich Kaiser Karl, aus seinem Verständnis von Glaube und Herrschaft heraus. So kam es 1546/1547 doch noch zum Krieg gegen die im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen Protestanten. Der Kaiser gewann zwar auf dem Schlachtfeld; die Furcht, ihre neuen Machtbefugnisse zu verlieren, ließ dann aber auch die mit Karl verbündeten Fürsten von dessen Positionen abrücken. Es blieb Ferdinand überlassen, 1555 in Augsburg den Religionsfrieden zu schließen, der bis zum Dreißigjährigen Krieg ein diplomatisches Gleichgewicht sicherte.

Die konfessionelle Spaltung war und blieb von nun an ein grundlegendes Charakteristikum der deutschen Geschichte, wie auch die spezielle Form der evangelischen Landeskirche. Luthers religiöser Aufbruch hatte ein neues politisches Kapitel aufgeschlagen.

Franz Metzger

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE SPEZIAL MARTIN LUTHER

Zuletzt geändert: 19.10.2017