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(Keine) Beute in Sicht

Der Alltag der Piraten

Der Traum von Freiheit, Abenteuer und schnellem Reichtum, den das Piratenleben versprach, lockte zahlreiche Menschen auf die Schiffe der Seeräuber. Doch wie sah ihr Alltag wirklich aus?

Piratenschiff

Das Leben an Bord eines Piratenschiffs war die meiste Zeit geprägt von öder, harter Arbeit und Langeweile. © istockphoto.com/riskms

Ein Pirat ist frei, segelt über die Weltmeere, liebt das Abenteuer und hat in jedem Hafen eine andere Liebe – und ist so reich, dass er Gold und Geschmeide in einer Truhe auf einer Schatzinsel vergräbt. So die Legende. Die Realität sah anders aus.

Auf ihren Fahrten mussten die Seeleute oft lange vergeblich auf den entscheidenden Schlag, der reiche Beute brachte, warten. Zwischen den wenigen Gefechten war das Bordleben eher entbehrungsreich. Wenn die See ruhig war, langweilte sich die Mannschaft an Bord. Das Schiff schaukelte bei Flaute manchmal wochenlang am gleichen Ort. Die Piraten betranken sich dann hemmungslos und es kam schnell zu Handgreiflichkeiten.

Ging der Rum aus, wurde es heikel

Noch kritischer wurde die Lage, wenn der Rum ausging, wie es eine Notiz aus Blackbeards Logbuch schildert: „Welch ein Tag! Rum ist alle! Ein verdammtes Durcheinander zwischen uns! Großes Gerede darüber, sich zu trennen. Also hielt ich kräftig nach einer Prise Ausschau – nahm eine Menge Schnaps an Bord, machte die Gesellschaft damit heiß, verdammt heiß; danach lief alles wieder gut.“

Bei rauem Wetter kämpfte die Besatzung auf ihren nicht immer seetauglichen Kähnen gegen Wind und Wellen. Sie waren von Regen und Salzwasser durchnässt, erschöpft und froren erbärmlich. Nachts schliefen die Piraten, die keine Wache hatten, dicht gedrängt unter Deck. Die Planken knarrten und quietschten, unter ihnen schwappte das stinkende Bilgewasser, und das Geräusch tapsender Ratten erfüllte die Dunkelheit.

Speis und Trank waren fast ungenießbar

Das Essen war kärglich. Alles, was die Piraten auf Kaperfahrt aßen, kam aus Fässern im Schiffsbauch. Weil es noch keine Kühlschränke gab, war das Fleisch gesalzen, das Gemüse eingekocht. Die Köche mussten eine Menge Gewürze verwenden, um den Geschmack von verdorbenem Essen zu übertünchen. Auch das Trinkwasser war in den Holzfässern, in denen es gelagert wurde, nach kurzer Zeit nur noch eine stinkende, brackige Brühe. Kein Wunder, dass die Piraten lieber Alkohol tranken – „wie Spanier Brunnenwasser“, schrieb ein Zeitzeuge.

Am Anfang einer Fahrt gab es noch lebende Hühner, Schafe und Ziegen, die in Käfigen an Bord lebten. Sie lieferten frische Eier und Milch. Doch sobald die Nahrung knapper wurde, ging es ihnen an den Kragen. Auf langen Fahrten blieben nur noch trockenes Brot, eingemachte Bohnen und Pökelfleisch. Viele Seeleute litten und starben an Skorbut und Magen- und Darmkrankheiten.

So oft wie möglich Pause im Hafen

So oft wie möglich steuerten die Piraten deshalb ihre Häfen an – und dann aßen, tranken und prassten sie, so viel sie konnten. Sie wussten ja nie, wann sie wieder dazu Gelegenheit haben würden und ob sie die nächste Fahr überhaupt überlebten. In den Häfen gingen auch nach erfolgreichen Beutezügen die Schätze so schnell wieder drauf, wie sie gewonnen worden waren.

Die Route für die Kaperfahrt und die Schiffe, die überfallen werden sollten, legten die Piraten gemeinsam im Schiffsrat fest. Auch ihren Kapitän wählten sie selbst, gewöhnlich denjenigen, der die wilde Meute am besten in Schach halten konnte. Selten hielten Piratenkapitäne länger als drei bis vier Jahre durch. Erfüllten sie nicht mehr die Erwartungen der Truppe, wurden sie kurzerhand abgesetzt. Das geschah häufig, wenn sich die Mannschaft nach Monaten der Erfolglosigkeit nicht über das künftige Vorgehen einigen konnte. Der Kapitän hatte die alleinige Befehlsgewalt im Kampf und bekam dafür auch einen größeren Anteil der Beute. Darüber hinaus hatte er meist jedoch kaum besondere Vorteile.

Die meisten wurden freiwillig Pirat

Die Besatzung der Piratenschiffe war kunterbunt gemischt. Von überall kamen sie, die den Traum von Freiheit, Abenteuer und schnellem Reichtum in die Tat umsetzen wollten. Auf manchem Piratenschiff kam bis zu einem Drittel der Mannschaft aus Afrika – zumeist entlaufene Sklaven. Kein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl einte die Besatzung, sondern die Herkunft aus den unteren Schichten der Gesellschaft und die Hoffnung auf ein besseres Leben und mehr Geld in der Tasche.

Die meisten kamen freiwillig: entlaufene Sklaven, Diebe und Mörder, Arme oder Arbeitssuchende wollten einem miserablen Leben an Land entfliehen. Seeleute der Kriegs- oder Handelsmarine, die oft in ihren Dienst gepresst worden waren, wechselten freiwillig aus dem elenden legalen Dienst in die illegale, aber vielversprechende Piraterie. Manche allerdings, vor allem wenn sie wie Wundärzte oder Zimmerleute an Bord nützlich waren, wurden zum Piratendasein gezwungen. Bei Überfällen suchten die Piraten unter den Opfern gezielt nach Männern mit nützlichen Berufen oder Kenntnissen.

Für Verletzungen gab es Geld oder Sklaven

Damit es an Bord nicht zu Streitereien unter der bunt zusammengewürfelten Crew kam, legten sogenannte Artikel vor der Abreise Regeln fest, die jedes Mitglied unterschreiben musste. Solche Regeln besagten zum Beispiel, dass über alle wichtigen Entscheidungen abgestimmt wurde, dass jeder, der beim Stehlen erwischt wurde, ausgesetzt werden sollte, dass an Bord keine Frauen erlaubt waren und dass jeder, der im Gefecht desertierte, hingerichtet wurde.

Auch die Verteilung der Beute war genau geregelt: Der Kapitän und der Quartiermeister erhielten zum Beispiel je zwei Teile, der Hauptkanonier und Bootsmann eineinhalb Teile, Offiziere eineinviertel Teile und alle anderen je einen kleineren Teil. Oft hielten die Verträge auch eine Art Sozialversicherung fest. Verlor ein Bukanier beispielsweise im Kampf seinen rechten Arm, standen ihm gewöhnlich 600 Achten, die gebräuchliche spanische Silbermünze, oder sechs Sklaven als Entschädigung zu. Für ein verlorenes Auge oder einen Finger gab es 100 Achten oder einen Sklaven. Starb ein Pirat im Kampf, erhielten seien Angehörigen manchmal sozusagen eine Hinterbliebenenrente.

Gefangene wurden meist grausam behandelt

Der schlimmste Regelverstoß, den ein Pirat begehen konnte, war, seine Kameraden zu verraten. Bestahl er sie, wurde er meist maroniert, das heißt, mit wenig Proviant und einer Waffe mit nur einem einzigen Schuss auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Drückte sich ein Pirat vor dem Kampf oder lief er zum Gegner über, dann wurde er gleich hingerichtet: An einen Mast gebunden konnte er sich aussuchen, von wem er getötet werden wollte.

Piraten waren nicht zimperlich. Mit Gefangenen gingen sie grausam um. Von den Bukanieren des 17. Jahrhunderts erzählt ein Zeitgenosse, dass es bei ihnen üblich gewesen sei, gefangene Spanier in Stücke zu hauen: „zunächst etwas Fleisch, dann eine Hand, einen Arm, ein Bein; manchmal wird auch ein Strick um den Kopf gelegt und mit einem Stock immer enger gedreht, bis die Augen herausfallen.“

Überlebende berichteten von Vergewaltigungsorgien

Auch Frauen behandelten die Piraten nicht besser: Bevor sie Portobello angriffen, legten sie eine Frau nackt auf eine Steinplatte und entfachten ein Feuer unter ihr – damit sie Geldverstecke verriet. Die Piraten, die sich in der Inselwelt um Madagaskar aufhielten, überfielen besonders gerne Schiffe arabischer Pilgerfahrer. Die hatten zwar nicht immer kostbare Ware bei sich, aber meist viele Menschen an Bord, die sie ausrauben und als Sklaven verkaufen konnten. Darüber hinaus befanden sich unter den Passagieren dieser Schiffe zahlreiche Frauen. Berichte Überlebender schildern brutale Vergewaltigungsorgien.

Ein grimmiges Schicksal drohte gefangenen Schiffsführern. Da viele Piraten aufgrund schlechter Erfahrungen bei der Marine einen Hass auf ausgebildete Kapitäne hatten, waren deren Tage nach einem Überfall meist gezählt. Es war gang und gäbe, sie zu verstümmeln und hinzurichten. Den traurigen Rekord darin hielt wohl Philip Lyne, der in seinem Prozess zugab, 37 Schiffsführer getötet zu haben.

Ob die Todesstrafe für Piraten abschreckte, ist zweifelhaft

Nur selten machten Piraten sich die Mühe, einen Delinquenten „über die Planke gehen zu lassen“ – die bekannteste Todesstrafe der Seeräuber. Dabei musste das Opfer gefesselt auf eine Planke steigen, die vom Schiff auf das Meer hinausragte. Der Verurteilte wurde mit einem Speer bis ans Ende der Planke gedrängt, wo er ins Wasser fiel und ertrank. In der Regel warfen Piraten ihre Gefangenen einfach direkt über Bord.

Ebenso kurzer Prozess wurde mit den Seeräubern selbst gemacht, wenn sie ihren Verfolgern in die Hände fielen. Da baumelten dann schon einmal gleich mehrere Dutzend an den Galgen der Küstenstädte. Wie lange der grausige Anblick wohl potenzielle Rekruten für den Piratenberuf abgeschreckt hat?

Monika Dreykorn 

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 7/2007 „Piraten und Freibeuter“

Zuletzt geändert: 19.4.2018