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Vergil und seine Aeneis

Politik mit Troja

Kaiser Augustus ein Nachfahre der Trojaner? So stellte es Vergil in seiner „Aeneis“ dar. Aber warum waren die Römer so an den Verlierern eines uralten Krieges interessiert?

Vergil Aeneis

Aeneas und Tiber, eine Szene aus Vergils „Aeneis“ | © istockphoto.com/duncan1890

 

Die eine Stadt lag in Kleinasien, die andere in Italien. Die erstere wurde im 12. Jahrhundert v. Chr. zerstört, die letztere erst fast ein halbes Jahrtausend später gegründet. Warum waren das mächtige Rom und seine Regierenden im 1. Jahrhundert v. Chr. so erpicht darauf, Gemeinsamkeiten mit einer seit vielen Jahrhunderten zerstörten Stadt herzustellen? Aus politischen Gründen. Das „heilige Troja“ war im Altertum durch die Epen „Odysee“ und „Ilias“ sehr bekannt. Diese Epen waren auch im nichtgriechischen Sprachraum allgemein geläufig und dienten als Aushängeschild für griechische Wesensart und Weltanschauuung.

Die Römer hatten auf diesem Feld nichts vergleichbares zu bieten. Ihre Ursprünge und Vorgeschichte waren weder klar definiert, geschweige denn lückenlos aufgeschrieben worden. So war eine Weltmacht wie Rom, die die Griechen in ihrer geografischen Ausdehnung länst überholt hatte, auf diesem psychologischen Gebiet unterlegen. Da betrat der oberitalische Dichter Publius Vergilius Maro (70–19 v. Chr.), bekannt als Vergil, die literarische Bühne Roms. Er begann 29 v. Chr., ein römisches Epos im Stil Homers zu schreiben, vermied jedoch die „Fehler“, die bereits antike Kommentare Homer zuschrieben.

Vergil war begeistert von Augustus Regierung

Vergil strickte um die Gestalt des Aeneas aus dem trojanischen Königsgeschlecht als Hauptperson ein dichterisches Kunstwerk, das einen Bogen schlug von Aeneas‘ Flucht aus dem gefallenen Troja bis hin zur Gründung von Alba Longa, der Mutterstadt Roms. Vergils „Aeneis“ wurde zum Nationalepos der Römer. Es reihte ihre eigene Geschichte in die allgemein bekannte Weltordnung ein und machte sie endlich den Griechen und Homer ebenbürtig.

Vergil hatte als Zeitzeuge den Aufstieg Roms unter Julius Cäsar erlebt, dessen Ermordung, die sich anschließenden Bürgerkriege, un den Sieg von Cäsars Adoptivsohn Octavian, besser bekannt unter dem Beinamen Augustus. Nach den langen Zeiten beständigen Kampfes nahm Vergil begeistert die von Augustus eingeleitete Friedensära auf. Überzeugt von der Milde der Regierung Augustus‘, deren Umschwung zur Monarchie er nicht mehr erlebte, pries er in seinem Werk Augustus und dessen Adoptivvater Julius Cäsar aus dem alten Adelsgeschlecht der Iulier in den höchsten Tönen.

Cäsar führte seine Abstammung auf Aeneas zurück

Dabei schuf Vergil ein Werk, das die Geschichte Roms mit der Geschichte des Iulischen Hauses aufs Engste verknüpfte. Er leitete die Patrizierfamilie von Aeneas‘ Stamm her, wie Cäsar dies bereits selbst beansprucht hatte, und führte sie auf diese Weise auf göttlichen Ursprung zurück. Denn der trojanische Held Aeneas soll die Göttin Venus zur Mutter gehabt haben, sein berühmtester Abkömmling, der Stadtgründer Romulus, soll den Kriegsgott Mars zum Vater gehabt haben. Es verwundert daher nicht, dass Venus von Julius Cäsar bevorzugt gepriesen wurde. Mars galt seit jeher als einer der wichtigsten Götter im Olymp. Sein heiliges Tier war der Wolf, sodass auch hier eine Verbindung zu den Zwillingssöhnen Romulus und Remus hergestellt wird, die der Legende nach eine Wölfin säugte.

Spätestens seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurde die Gründung Roms nachweisbar auf ein trojanisches Fundament gestellt. Dies beweisen Münzprägungen sowohl der Venus als auch der römischen Stadtgötting Roma, die beide als Trojanerinnen gekennzeichnet waren. Deutlich macht die angestrebte Verknüpfung zwischen Troja und den Römern auch die Namensgebung: Troja wurde auch Ilion genannt, Aeneas Sohn Ascanius war unter dem Namen Ilos bekannt. Dessen dritter Name Iulus demonstrierte darüber hinaus die Verwandtschaft der Iulierfamilie mit trojanischen Vorfahren.

Ein neuer Typ Held entsteht: emotional und fehlbar

Vergil formte auch einen neuen Heldentypus. Aeneas war kein unfehlbarer Heros, der unbeirrt seinen Weg aus dem zerstörten Troja nach Italien ging. In dieser Hinsicht ist er ein geradezu modern anmutender Mensch. Obwohl er auch kampferprobt, aggressiv und zornig ist, wie es von einem antiken Helden erwartet wurde, handelt er vielfach anders als Homers Heroen. Aenas ist emotionaler und dadurch angreifbarer. So findet er erst nach langen Irrfahrten, die an die Odysee Homers erinnern, und zwei fälschlich gedeuteten Vorzeichen an die geweissagte Stelle seiner Bestimmung: Italien. Dort gründet er die Stadt Lavinium in Latium. Sein Sohn Ascanius wiederum ließ die Stadt Alba Longa bauen, aus der später die römischen Familien stammten. Sein Nachfahre Romulus errichtete schließlich Rom – der Legende nach im Jahr 753 v. Chr.

Während Aeneas‘ Suche nach der Lösung eines Orakelspruches führt ihn sein Weg in die Unterwelt. Dort trifft er seinen Vater Anchises. In dieser gruseligen Umgebung nun lässt Vergil seinen Helden in die Zukunft blicken. Anchises weissagt seinem Sohn die ruhmvolle Zukunft seiner Nachfahren: „Wende nunmehr den Bick und schau da drüben die Sippe/ Deiner Römer; da siehst du Cäsar und deines Iulus/ Ganzes Geschlecht, bestimmt, dereinst in den Himmel zu steigen“ (Buch VI, 788-790). Selbstverständlich blieb auch Augustus in dieser Heldenschau nicht unerwähnt. Nicht zuletzt deshalb verwundert es nicht, dass Augustus das noch unvollständige Epos Vergils posthum herausgab, obwohl Vergil in seinem Testatment verfügt hatte, keines seiner unvollendeten Werke herauszugeben.

Aeneas stellt seine Bestimmung über persönliches Glück

In einer Hinsicht charaktersisierte Vergil den Trojaner Aeneas noch römischer als einen Römer. Aeneas war „pius“, pflichtbewusst. Er vernachlässigte seine Aufgaben nicht, war sich immer seiner Bestimmung bewusst und hatte ihre Erfüllung stets vor Augen. Die „pietas“ des Aeneas äußerte sich bereits bei seiner Flucht aus Troja: Er floh mit seiner Frau, die er allerdings bald verlor, seinem Sohn Ascanius, mit seinem gelähmten Vater Anchises auf den Schultern und mit den Hausgöttern Trojas. Er folgte den Kräften seines Schicksals und ließ sich von den Göttern leiten, auch unter persönlichen Verlusten. Seine Frömmigkeit umfasste auch die Loyalität Freunden gegenüber, etwa als er einen gefallenen Freund rächte.

Durch die Übertratung einer angesehenen typisch römischen Eigenschaft auf seinen trojanischen Hauptdarsteller schuf Vergil nicht nur eine Respektsperson als Urheber des römischen Staates, sondern verknüpfte auch trojanische mit der römischen Wesensart. Er übernahm einiges von Homer, konnte aber mit seinem großen literarischen Vorbild Schritt halten. Er bot den Römern eine historische Daseinsberechtigung und fügte sie auf eine Art in die Weltordnung ein, die mit den Griechen mithalten oder sie sogar überflügeln konnte.

Aeneas' Flucht aus Troja

Römische Tugenden: Bei seiner Flucht aus Troja nahm Aeneas seinen gelähmten Vater, seinen Sohn und seine Frau mit sowie die Hausgötter. | © istockphoto.com/duncan1890

 

Dr. Meike Berg

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 8/2003: „Kampf um Troja“

 

Zuletzt geändert: 18.02.2016