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Trockene Zeiten

Prohibition in Amerika

13 Jahre lang war der Verkauf von Alkohol in den USA verboten – und die Prohibition machte aus Gangstern Helden. Doch sie hatte auch positive Folgen. Zum Beispiel Cocktails.

Prohibition in Amerika

Auf dem Höhepunkt der Prohibition vernichtete die Polizei illegalen Alkohol. | © Library of Congress USA

Übersät mit tiefen Kratzern, mit Löchern und voller Unebenheiten, hat die Theke in der Jazzkneipe The Green Mill, die es schon zur Zeit der Prohibition gab, im Norden der Innenstadt von Chicago schon so einiges miterlebt. Ein passender Ort für Liz Garibay, die lässig am Tresen lehnt. Geschichten, vor allem aus Bars, sind ihr Metier. „Seit die Ägypter anfingen, Bier zu brauen, haben die meisten Menschen irgendeine Beziehung zum Alkohol“, erzählt sie. Fasziniert von dieser die Menschheit verbindenden Droge konzentrierte sie sich schon in ihrem Studium an der University of Illinois auf die Geschichte der Rauschgetränke.

Die Prohibition ging als Gangsterzeit in die Geschichte ein

Ihr Schwerpunkt liegt auf der Zeit der Prohibition in den USA, als zwischen 1920 und 1933 der Verkauf von Alkohol per Verfassungszusatz verboten war. Vor allem dank zahlreicher Hollywoodfilme sind diese 13 Jahre als eine Zeit der Gangster ins Gedächtnis eingegangen, die zwar tadellos gekleidet waren, aber völlig skrupellos ihre Gegner ermordeten. Als eine Zeit, in der Korruption zum Massenphänomen wurde und Gesetzlosigkeit zur Tugend. Garibay kennt das. Doch ihr Fokus liegt anders: „Interessanter sind die positiven Seiten der Prohibition.“

Die 1920er-Jahre seien eine Zeit rasanten gesellschaftlichen Wandels gewesen. Illegale Flüsterkneipen, die Speakeasies, wurden zu konspirativen Treffpunkten: Hier konnten, anders als in den Saloons zuvor, Männer und Frauen gemeinsam trinken und manchmal sogar miteinander tanzen. Es waren Orte, an denen sich die Cocktailkultur entwickelte und an denen Künstler mit einer neuen Musik experimentierten: dem Jazz. „Zum Beispiel gleich hier im Green Mill“, sagt Liz Garibay und weist auf die große Bühne hinter ihr, die damals bereits zu den ersten Adressen der Stadt zählte.

„Die meisten Gangstergeschichten lassen sich nicht belegen“

Liz Garibay kennt die wahre Prohibitionsgeschichte Chicagos – und vermittelt sie mit ihrem Unternehmen „History on Tap“ (etwa: „Geschichte aus dem Zapfhahn“) Besuchern aus aller Welt. Im Gegensatz zu der Historikerin setzen viele andere Touranbieter oft auf Show-Effekte wie nachgespielte Schießereien. Auch viele Kneipen in Chicago nehmen es mit der Wirklichkeit nicht so genau und versuchen, ihren Gästen beim Whiskey einen leichten Schauer über den Nacken laufen zu lassen. „Die meisten dieser Gangstergeschichten lassen sich nicht belegen“, warnt Garibay. Wären sie wahr, hätte der Gangsterboss Al Capone bald in jeder Bar der Stadt getrunken.

Die Stadt selbst erinnert sich nur ungern an jene Zeit, in der die organisierte Kriminalität dank des Handels mit der illegalen Droge Alkohol Millionen verdiente. Sie unterwanderte ganze Wirtschaftszweige wie das Transportgewerbe. Bestechung ließ viele Beamte schwach werden. Bandenkämpfe, etwa das sogenannte Valentinstag-Massaker, als eine Gang von Al Capone im Jahr 1929 sieben seiner Widersacher in Chicago kaltblütig erschießen ließ, wurden zum Symbol eines versagenden Staates – und damit zu einem Wendepunkt in der öffentlichen Meinung, der vier Jahre später zum Ende der Prohibition führte. Heute ist der Schauplatz des Massakers ein Rasenstück, weder ein Schild noch eine Plakette weisen darauf hin.

Der Verkauf von Alkohol galt als antiamerikanisch

Beide Seiten der Prohibition, die Gewalt wie der kulturelle Wandel, machten schon in den 1920er-Jahren allen außer fanatischen Anhängern klar, dass die Hoffnungen, die in das Alkoholverbot gesetzt wurden, nicht zu erreichen waren. Die Vorkämpfer des Verbots hatten schon seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts vor Bier und Schnaps gewarnt. Sie kritisierten die Zustände in den Saloons, in denen viele Arbeiter ihren Wochenlohn in Getränke investierten, während die Familie zu Hause hungerte. Wirtshausschlägereien waren ihnen ebenso ein Dorn im Auge wie die gelockerte Sexualmoral unter Trinkern. Doch zum Erfolg wurde die Kampagne von Vereinigungen wie der Anti-Saloon-League und der Temperance Union erst, als sie den Verkauf von Alkohol als antiamerikanisch brandmarken konnten.

Anlass dazu gab die verstärkte Einwanderung von Iren, Deutschen, Italienern und Südosteuropäern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders in die großen Städte am Atlantik und im Mittleren Westen. Die Neuankömmlinge nutzten Bars und Saloons als Kontakt- und Informationsbörsen. Auf dem Land sorgte das für Angst vor Überfremdung. „Mit dem Massenansturm der Ost- und Südosteurop.er schienen fremde, hermetische Kulturen die Vereinigten Staaten zu überschwemmen und im amerikanischen Kernland feindliche Inseln zu bilden“, schreibt der Historiker Thomas Welskopp in „Amerikas große Ernüchterung“.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verknüpfte die Prohibitionsbewegung ihre Ideen mit patriotischen Appellen. Im Rausch, so ihr Argument, würde so manches kriegswichtige Geheimnis leichtfertig dem Feind preisgegeben. Zudem schwäche der Alkohol die Kampfkraft der amerikanischen Soldaten. Und wann immer sich Deutsche, die viele Brauereien in den USA führten, gegen die Prohibition aussprachen, wurde ihnen das als Illoyalität ausgelegt, manchmal gar als Verrat.

Ihr Ziel erreichte die Prohibition zu keinem Zeitpunkt

Im Januar 1920 erreichten die Befürworter der Prohibition ihr Ziel. Der 18. Zusatzartikel zur Verfassung verbot landesweit Herstellung, Transport und Verkauf alkoholischer Getränke. Als einzige Staaten widersetzen sich Connecticut und Rhode Island dauerhaft der Ratifizierung des Artikels – ein eher symbolischer Akt, die Verfassung hatte überall Gültigkeit.

Ihr Ziel, den Alkohol aus dem Leben der Amerikaner zu verbannen, erreichte die Prohibition zu keinem Zeitpunkt. Wer ausreichend Geld hatte, legte sich einfach rechtzeitig einen großen Weinkeller an: Der Konsum an sich war nicht verboten, nur Herstellung, Transport und Verkauf. Entsprechend nimmt den größten Raum in den Erzählungen aus der Zeit der Schmuggel ein. Im Restaurant Twin Anchors, in das die Historikerin Liz Garibay führt, ist er Teil des Namens geworden. Einst betrieben zwei Schiffsleute das Restaurant, die sich, wie es die Legende will, auf dem Michigan-See mit Schmugglern aus Kanada trafen und von ihnen Whiskey und Gin kauften.

Die Amerikaner zeigten sich noch auf andere Art erfinderisch: Sakralwein aus jüdischen Gemeinden wurde in großem Stil zweckentfremdet, ebenso Industriealkohol, der weiter produziert werden durfte. Einige Ärzte machten ein gutes Geschäft mit dem Vertrieb von medizinischem Alkohol. Die mit Abstand größte Alkoholquelle aber wurde Moonshine, heimlich gebrannter Schnaps.

Weder Südkorea noch die USA rechneten mit einem Angriff

Dass ausgerechnet Schnaps gebrannt wurde, während zuvor eher Bier populär war, lag in der Natur der Prohibition. Da sowohl Produktion als auch Transport heimlich geschehen mussten, waren Alkoholika, die viel Volumen benötigten, riskanter. Riskant war allerdings auch der Konsum des illegal produzierten oder geschmuggelten Alkohols – vor allem für die Konsumenten. Die Qualität der verkauften Getränke sank rapide. Schnell und heimlich produzierter Schnaps enthielt häufig nicht nur das gefährliche Methanol, das zur Erblindung und zum Tod führen konnte. Auch die Brennvorrichtungen entsprachen nicht den vorherigen Hygienestandards, sodass die Getränke oft mit Blei verunreinigt waren. Entsprechend erbärmlich war der Geschmack des Schnapses.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den USA die Kunst des Cocktailmixens, die Liz Garibay im Green Mill angesprochen hatte: „Den Barkeepern stellte sich die Frage: Wie kann man den Geschmack verbessern?“ Über das Ergebnis der Bemühungen, und auch das war neu, tauschten sich nun nicht mehr nur Männer aus, sondern auch Frauen. Anders als die Saloons, in denen vor allem Männer meist Bier tranken, wurden zumindest manche Speakeasies zu einem Ort, an dem sich die Geschlechter trafen. Ohnehin versteckt, übten diese Orte gerade auf Jugendliche eine Faszination aus und durchbrachen die bisherige soziale Kontrolle. Junge Männer beeindruckten potenzielle Freundinnen nun mit der Kenntnis der angesagtesten Flüsterkneipen. Und anders als zuvor entwickelte sich eine Kultur des Dating, in der sich junge Männer und Frauen unverbindlich trafen, ohne dadurch gleich ein Heiratsversprechen einzugehen.

Die öffentliche Meinung kippte wegen der Kriminalität

Was im Rückblick fast wie der Beginn der Emanzipation der Frau erscheint, beurteilt der Historiker Thomas Welskopp indes deutlich skeptischer. „Es waren weiter die Männer, die eine nur oberflächlich modernisierte Doppelmoral ‚ihre Hörner abstoßen‘ ließ, während Frauen, die ihnen gleichtaten, letztlich doch ins Abseits gerieten“ – besonders wenn sie ungewollt schwanger wurden.

Trotz des offiziellen Verbots stabilisierte sich der Alkoholkonsum in den USA relativ bald auf rund zwei Dritteln des Niveaus vor der Prohibition. Die öffentliche Meinung kippte am Ende der 1920er-Jahre, als Gesundheitsgefahren und organisierte Kriminalität kritisiert wurden: 1933 wurde der Verfassungszusatz, der die Prohibition eingeführt hatte, wieder aufgehoben. Nach 13 Jahren durften Bars erstmals wieder legal öffnen und Restaurants ein Glas Wein zum Dinner servieren.

Noch heute ist die Prohibition spürbar

Die Folgen der Prohibition sind allerdings noch heute spürbar. Einerseits haben die amerikanischen Bundesstaaten und selbst einzelne Landkreise und Gemeinden das Recht, den Alkoholverkauf auf ihrem Territorium einzuschränken. So gibt es nach wie vor Gegenden in Amerika, in denen der Verkauf von Alkohol verboten ist. Andererseits ist es nur in wenigen amerikanischen Städten erlaubt, Alkohol offen auf der Straße zu konsumieren. Dort, etwa in New Orleans oder Las Vegas, nutzen viele Amerikaner die Erlaubnis bis zum Exzess.

Auch im Twin Anchors, dem Restaurant in Chicago, in das Liz Garibay führt, lässt sich eine Folge der Prohibition nach wie vor besichtigen. Dort wird, wie in den meisten Restaurants in den USA, direkt nach dem Essen die Rechnung gereicht. Anders als in Europa ist es unüblich, nach dem Essen bei einem Glas Digestif sitzen zu bleiben und sich zu unterhalten. Auch diese Tradition stammt aus der Prohibition: Restaurants konnten nur mit den Speisen Umsatz machen. Entsprechend waren sie auf eine rasche Abfertigung der Gäste angewiesen. Auf manche Art ist sie also nach wie vor zu spüren, die Prohibition in den Vereinigten Staaten.

Tobias Sauer 

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 8/2017 „Die Etrusker“

Zuletzt geändert: 15.3.2018