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Stille Helden

Widerstand im Alltag

Die von der Propaganda beschworene „Volksgemeinschaft“ zwang nicht alle Deutschen in die erwünschte Uniformität. Täglich wagten Mutige den Ausbruch. Ihre Waffen: Witze, verschleppte Arbeiten und Verstecke für Verfolgte.

Bundesarchiv, Bild 146-1969-071A-03 CC-BY-SA 3.0

Das wohl bekannteste, aber nicht das einzige Zeichen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Deutschland war das Attentatsversuch vom 20. Juli 1944. Hier zeigt Hitler Mussolini sein zerstörtes „Führerhauptquartier“. | © Wikimedia Commons, Bundesarchiv Bild Nr. 146-1969-071A-03, CC-BY-SA 3.0

Ständiger Zwist, geradezu notorische Uneinigkeit – so erschienen die Weimarer Jahre vielen Zeitgenossen, die aufgewachsen waren in der geordneten Welt des Kaiserreichs. „Volksgemeinschaft“ hingegen – das versprach Harmonie und Sorglosigkeit; „Volksgemeinschaft“ verhieß Erlösung; „Volksgemeinschaft“ wurde eines der Lieblingswörter der Nazis. Sein Charme verhüllte die große Gefahr: die verordnete Uniformität, auch im Denken, und die absolute Treue zu Politik und Ideologie der „braunen Herrscher“.

Wer ausscherte und seinen eigenen Weg zu gehen versuchte, wer aufmuckte und das Regime kritisierte, gar Widerstand leistete, stand bald vor Gericht – allerdings nicht vor der ordentlichen Rechtsprechung. Schon im März 1933 waren „Sondergerichte“ bei den Oberlandesgerichten eingerichtet worden. Rechtsmittel waren dort nicht zulässig, Urteile endgültig. Etwa 11 000 Menschen verurteilten die Sondergerichte zum Tode – mehr als doppelt so viele wie der berüchtigte „Volksgerichtshof“, der ab 1934 Hoch- und Landesverrat verfolgte. Ab 1939 waren die Sondergerichte auch für bestimmte Eigentums-, Gewalt- und Wirtschaftsvergehen zuständig, für Taten wie Schwarzschlachtung, Lebensmittelkartenbetrug und Diebstahl „unter Ausnutzung des Kriegszustandes“.

Immer neue Verbote schränkteen die Freiheit ein

Mit Kriegsbeginn kamen immer mehr Verbote. Völlig neue Straftatbestände machten Zehntausenden von Deutschen zu „Straftätern“ – etwa, wenn sie ausländische Sender hörten. Buchstäblich als Totschlagargument diente den Gerichten das „Gesetz zur Stärkung der Wehrkraft des deutschen Volkes“. Es stellte Kontakte zu Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern unter Strafe – und sogar den leisesten Zweifel am „Endsieg“. Nach 1939 lauteten die meisten aller „politischen“ NS-Urteile abseits des Verrats auf „Wehrkraftzersetzung“.

Die Handlungsmöglichkeiten der Opposition gegen das Regime waren im nationalsozialistischen Deutschland folglich ebenso beschränkt wie gefährlich. NS-Gegner, die nicht den offenen Kampf und damit den eigenen Tod riskieren wollten, blieb nur die stille Verweigerung oder der Widerstand im Alltag. Die alltägliche Auflehnung hatte viele Gestalten. So sagte, wer es sich traute, nicht „Heil Hitler“, sondern „Grüß Gott“ – in katholischen Gegenden ein straffreier Gruß. Andere „vergaßen“ einfach, den rechten Arm zu heben. Auch das Hören der „Feindsender“ war ein Akt der politischen Renitenz. Dann die höheren und damit gefährlicheren Stufen des alltäglichen Widerstands: Immer wieder steckten Deutsche „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen Lebensmittel zu, verschleppten Arbeit in Rüstungsbetrieben oder übermittelten Nachrichten an die Kriegsgegner. All dies erfüllte den Tatbestand der Spionage oder „Feindbegünstigung“, wenn nicht gar des Landes- und Hochverrats – mit den bekannten Konsequenzen. Deshalb galt es, stets auf der Hut vor Denunzianten zu sein. Diese vielen „kleinen Hitlers“ waren es, die den stillen Helden des alltäglichen Widerstands das Leben schwer und das der Gestapo leicht machten.

Widerstand durch Witze: Nazis als Zielscheibe des Spotts

Das beliebteste Ventil, seinem Unmut Luft zu machen, waren Witze: Darin ließen die Menschen kein gutes Haar an den hohen Herren in Braun und an den Bonzen. „Haben Sie schon den neuen Goebbels-Hut? – Wieso Goebbels-Hut? – Nun, kleiner Kopf, großer Rand.“ Und über den auf Orden versessenen Göring erzählten sich die „Volksgenossen“, er schlafe immer bei offenem Fenster. Warum? Damit ihm auch noch der Abendstern auf die Brust falle… Auch die „heilige Volksgemeinschaft“ nahmen manche Deutsche aufs Korn: „Tünnes sagt zu Schäl: Komm mit in den Wald! Darauf Schäl: Das heißt nicht mehr Wald. Das ist die NS-Baumgemeinschaft!“ Ein weiterer Witz: „Der Lieblingshund des Oberförsters ist versehentlich erschossen worden; niemand traut sich, es ihm zu sagen. Schließlich rafft sich ein altgedienter Jagdgehilfe auf und geht ins Büro des Försters. Zu aller Überraschung kommt er mit einer dicken Zigarre, einer Flasche Schnaps und fünf Mark wieder heraus. ‚Was hast du ihm denn gesagt?‘ – ‚Was schon? Heil Hitler – der Hund ist tot!'“

Die Partei antwortete prompt mit dem sogenannten „Heimtückegesetz“, wenn „Maßnahmen von Partei und Staat oder führende Männer des Nationalsozialismus der Lächerlichkeit preisgegeben“ wurden. Wer sich allerdings auf einen Widerstand in Zwischentönen verstand, konnte schon eine dicke Lippe riskieren. Die Auftritte eines Werner Finck oder eines Weiß Ferdl wurden legendär. Da sagte etwa Finck zur eifrig mitstenografierenden Gestapo: „Kommen Sie mit? Oder muss ich mitkommen?“

Mutige Büttenredner nutzten den Karneval zum Wachrütteln

Ungemein mutig waren die Büttenredner des Rheinischen Karnevals. Die „närrischen Widerständler“ standen mit einem Bein in der Bütt – mit dem anderen im KZ. So trug der „Närrische Reichskanzler“ 1933 in Main tollkühn vor: „Zu reden hier heut braucht man Mut, weil, eh man sich vergucke tut, als Opfer seiner närr’schen Kunst kann einquartiert wer’n ganz umsunst.“ Zunächst knirschte die Mainzer Parteiführung nur mit den Zähnen. Doch dann, 1935, ließ Gauleiter Sprenger das gesamte Festkomitee des Mainzer Carneval-Vereins frühmorgens direkt aus den Betten heraus verhaften. Stundenlang schmorten die Jecken, dann öffnete sich die Tür – um 11.11 Uhr. Der Gauleiter servierte seinen „Schutzhäftlingen auf Zeit“ ein „Katerfrühstück“ und entließ die Karnevalisten mit der unverhüllten Warnung, Partei und Staat zukünftig mit „positivem Humor“ zu bedenken.

Nicht wenige der politischen Witze-Erzähler landeten im KZ. Und dennoch: Der humoristische Widerstand zeigte, dass die meisten Deutschen trotz aller Einschüchterung eine gemeinsame Verständigungsbasis behielten. Im spontanen Auflachen der Zuhörer und Gesprächspartner löste sich der Widerspruch zwischen „nationalsozialistischer Persönlichkeit“ und menschlicher Individualität.

Es war durchaus möglich, etwas gegen den Terror auszurichten

Besondere menschliche Größe zeigten jene Deutschen, die den am schlimmsten Verfolgten und Verfemten der NS-Gewaltherrschaft halfen, den jüdischen Mitbürgern. Besonders von 1941 an versuchten jene Deutsche, die ihrem Gewissen folgten, Juden vor Deportation und Vernichtung zu bewahren. Sie verhalfen den Verfolgten zur Flucht ins Ausland oder versteckten sie; sie gaben ihnen Arbeit oder besorgten Untergetauchten Ausweise. Mindestens 10 000 Juden lebten im Untergrund, vor allem in Berlin und anderen Großstädten. Ihre Helfer organisierten Essen und Lebensmittelkarten, fälschten Dokumente und erschlichen Bescheinigungen. Tagtäglich riskierten sie ihren Kopf, wenn sie das rettende Netz für die Illegalen knüpften.

Die Namen der Untergetauchten sind heute weitgehend unbekannt. Zu den wenigen Ausnahmen gehören der Fernsehstar Hans Rosenthal, der Schauspieler Michael Degen und Charlotte Knobloch, die ehemalige Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hans Rosenthal beschrieb 1980, wie er in der Berliner Laubenkolonie „Dreieichen“ untergetaucht war. Mit seiner Autobiografie „Nicht alle waren Mörder“ legte Michael Degen 1999 nach. Charlotte Knobloch überlebte die Schoah, weil ein fränkischer Bauer sie versteckt hielt. Auf Seiten der stillen Helden ist der Fabrikant Oskar Schindler der bekannteste. Ihm gelang es, in Krakau etwa 1000 Juden vor dem Holocaust zu retten. Verfolgte und Helfer zählt heute das „Zentrum für Antisemitismusforschung“ an der TU Berlin in seiner Datenbank „Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland“. Ihre 2500 Einträge entlarven aber auch die Legende, gegen den Terror der Nazis habe man nichts ausrichten können.

Auch die Verfolgten selbst leisteten Widerstand

Auch die Verfolgten haben ihrerseits Widerstand geleistet. Im März 1943 protestierten Hunderte von jüdischen Frauen tage- und nächtelang vor der ehemaligen Sozialstation der Jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte, wo ihre Männer, Söhne und Brüder festgehalten wurden. Den Männern drohte die Deportation. Es kam zur großen Überraschung: Die Gestapo ließ mehr als 1500 frei. Die Freigelassenen mussten dann allerdings Zwangsarbeit leisten. Dieser „Frauenprotest in der Rosenstraße“ wurde Stoff für Film und Literatur.

In den Konzentrationslagern war offener Protest selten; zu sehr waren die Häftlinge willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Und wenn es zu Protesten kam, wie in Auschwitz, Sobibor und Treblinka, wurden sie blutig niedergeschlagen. Aber es gab subtilere Arten der Solidarität und des Widerstands: Nahrungsmitteldiebstahl, Fluchthilfe und die Weigerung, andere Häftlinge zu quälen. Selbst politische Konspiration gab es. Das „Buchenwalder Manifest“ vom April 1945 enthält ein Programm zur demokratischen Neugestaltung Deutschlands. Die Denkschrift ging aus Diskussionen von Häftlingen sozialistischer, kommunistischer und christlicher Gesinnung in den Baracken von Buchenwald hervor. In der Präambel heißt es: „Vor dem Schattengesicht der Blutzeugen unserer Weltanschauung, die durch die hitleristischen Henker gestorben sind, halten wir uns für berechtigt und verpflichtet, Deutschland wieder Achtung und Vertrauen im Rate der Nationen zu verschaffen.“

Harry D. Schurdel

Der Artikel erschien erstmals in G/GESCHICHTE 7/2004 „Bomben gegen Hitler: Widerstand im Dritten Reich“

Zuletzt geändert: 20.04.2017