Zwischen 1895 und 1900 suchte Winston Churchill das Abenteuer. Doch erst sein Einsatz als Kriegsreporter im Zweiten Burenkrieg in Südafrika lohnte sich für ihn.
In Kuba sammelte Churchill in seiner dienstfreien Zeit – also genau genommen im Urlaub – 1895 erste Erfahrungen als Kriegsreporter, wenn auch die Entdeckung der kubanischen Zigarre, fortan bis zu seinem Lebensende sein Markenzeichen, das prägendste Erlebnis aus dieser Zeit gewesen sein dürfte. Bei seinen militärischen Einsätzen in Indien und dem Sudan lernte er hingegen die Kriegsführung des Empire kennen und machte sich mit seinen Berichterstattungen nicht nur Freunde. Er legte den Finger in die Wunde und zeigte auf, wie überfordert die Armee des Weltreiches beispielsweise mit dem Aufstand in Malakand, einer nordwestlichen Grenzprovinz Britisch-Indiens (im heutigen Pakistan), war.
1899 quittierte Churchill den Militärdienst und strebte den Beginn seiner politischen Karriere an. Im Juni 1899 wurde in Oldham eine Parlamentsnachwahl fällig und Churchill wurde seitens der Konservativen die Kandidatur angeboten. Diese Chance ergriff er, wurde jedoch nicht gewählt und hielt bereits kurz darauf nach neuen Betätigungsfeldern Ausschau.
Empire gegen Buren: Kampf um Transvaal
Seit Oktober 1899 tobte im heutigen Südafrika der Zweite Burenkrieg. Auslöser für die Kampfhandlungen zwischen den Buren, den niederländischstämmigen Einwohnern Südafrikas, und den Briten waren dabei die Burenrepubliken Oranje-Freistaat und die Südafrikanische Republik, auch bekannt als Transvaal. Beide Republiken wurden Mitte des 19. Jahrhunderts von Buren gegründet, die nach dem Übergang der Kapkolonie von den Niederlanden an Großbritannien der britischen Rechtsprechung entfliehen wollten. Nun standen sie mit ihrer Lage im Hinterland Südafrikas jedoch den britischen Bestrebungen eines Kolonialreiches in Afrika von Ägypten bis zum Kap im Weg, zudem waren die Briten an den enormen Bodenschätzen in Form von Diamanten und Gold interessiert.
Da die Buren den »Uitlanders«, also jenen Ausländern, die aufgrund der Verlockungen in Form von Gold und Diamanten in die Republiken strömten, die Gleichstellung verweigerten und restriktiv gegen diese vorgingen, wurde seitens des Empire ein kriegerisches Eingreifen durch diesen Umstand begründet.
Mit einer Tafel Schokolade: Churchill fällt den Buren in die Hände
Als am 14. Oktober ein Expeditionskorps von Southampton aus in See stach, war auch Winston Churchill an Bord. Ausgestattet mit einem bestens dotierten Vertrag sollte er als Kriegsberichterstatter für die „Morning Post“ vom Kap berichten. Mitte November, zwei Wochen nach seiner Ankunft, wurde er allerdings zusammen mit einigen britischen Soldaten in einen Hinterhalt gelockt und gefangen genommen. Man brachte ihn nach Pretoria, der Hauptstadt der Republik Transvaal, und internierte ihn dort.
Er pochte zunächst gegenüber den Buren darauf, Zivilist zu sein, was ihm diese nicht glaubten. Aus Angst vor Depressionen, hervorgerufen durch seine unfreiwillige Untätigkeit, konzentrierte sich Churchill nun auf seine Flucht. Zusammen mit anderen britischen Häftlingen entwarf er einen Fluchtplan. Der sah vor, dass sie über die Mauer der Außenlatrine klettern würden, da diese von den Wachen nicht eingesehen werden konnte. Im Schutz der Dunkelheit machte Churchill den Anfang und kletterte über die Mauer. Als er allerdings auf seine Mithäftlinge wartete, geschah nichts und erst nach langem Warten wurde ihm über die Mauer mitgeteilt, dass die Flucht abgeblasen worden sei. Churchill jedoch, angetrieben von seinem Freiheitsdrang, entschloss sich, das größtmögliche Wagnis einzugehen und sich allein durchzuschlagen. Er besaß dabei gerade einmal 75 Pfund Sterling, einige Tafeln Schokolade und sprach kein Wort Afrikaans.
Flucht als Auftakt zum Heldenmythos
Was nun folgte, war die Geburt eines Heldenmythos, der die Grundlage für Churchills politische Karriere bilden sollte. Um nicht wieder in Haft zu kommen, musste er so schnell wie möglich den Einzugsbereich der Buren verlassen. Noch in der Nacht gelang es Churchill, auf einen vorbeifahrenden Güterzug aufzuspringen. Auf diesem fuhr er bis zum Morgen als blinder Passagier mit. Tagsüber versteckte er sich in einem Wald und lief anschließend die ganze Nacht durch. Entkräftet entschloss er sich dazu, das Risiko der Gefangennahme einzugehen und an eine Tür zu klopfen, um nach Hilfe zu fragen. Zu Churchills großem Glück öffnete ihm diese der englischstämmige Direktor einer Kohlengrube. Der half ihm nicht nur in dieser Situation, sondern versteckte ihn in der Folgezeit in einem Stollen seiner Grube vor dem Zugriff durch die Buren. In der Zwischenzeit war ein Kopfgeld von 25 Pfund Sterling auf ihn ausgesetzt worden. Das letzte Teilstück seiner Flucht legte Churchill wiederum mit der Eisenbahn zurück, jedoch wie zuvor auf ungewöhnliche Art und Weise. Versteckt unter Wollballen im Waggon eines Güterzugs gelang es ihm, Lourenço Marques, die Hauptstadt Portugiesisch Ostafrikas, des heutigen Mosambik, zu erreichen.
Churchill erreichte am 23. Dezember 1899 Durban via Schiff und wurde nach seiner Ankunft wie ein Held gefeiert. Seine Fluchtgeschichte, mit etlichen Details angereichert und dramatisiert, stieß auf großes Interesse und löste Begeisterung aus. Er machte sich diesen Umstand direkt zu Nutze und überredete die militärische Führung, ihn wieder als Offizier einzusetzen. So war es ihm weiter möglich, seiner journalistischen Tätigkeit nachzugehen und dabei direkt von der Front zu berichten. Nach einem kurzen Intermezzo bei den „South African Light Horse“, in dessen Verlauf er an einigen Kämpfen, unter anderem das Gemetzel in Spion Kop und die Einnahme der Stadt Ladysmith, beteiligt war, ließ er sich zur Einheit Sir Ian Hamiltons versetzen und genoss sein Soldatendasein in vollen Zügen.
Zuletzt ritt Churchill mit seinem Regiment nach siegreichem Kampf in Pretoria ein und befreite seine Kameraden aus den Internierungslagern, ehe er sich im Sommer 1900 auf den Weg zurück nach England machte – zum einen, weil die Buren immer mehr die Guerillataktik anwendeten und es kaum noch zu Kampfhandlungen kam, zum anderen, weil er nun endgültig eine Karriere im Parlament ins Auge fasste.
Erfolgreiche Selbstvermarktung des späteren Premiers
Während Winston Churchill in Großbritannien seinen politischen Plänen nachging und im Oktober 1900 tatsächlich in das Parlament einzog, aber auch seine Fluchtgeschichte erfolgreich vermarktete, unter anderem mit einer Vortragsreise in den USA unter dem Titel „Wie Leutnant Churchill den Buren entkam“, gingen die Kampfhandlungen am Kap weiter. Die Briten gingen dazu über, Angehörige von Guerillakämpfern zu internieren und deren Land niederzubrennen. Auf diese Weise wollte man der Lage Herr werden. Doch erst nach einer erneuten Aufstockung der Truppe, mittlerweile standen bis zu 250.000 Briten etwa 30.000 Buren gegenüber, gelang es dem Empire, den Widerstand zu brechen. Im Mai 1902 besiegelte der „Friede von Vereeniging“ das Ende des Konflikts, womit die beiden Burenrepubliken in das Empire eingegliedert wurden.
Winston Churchill, der mit seiner Flucht aus dem Internierungslager Heldenstatus erhielt, nutzte diesen letztendlich zum Start seiner politischen Karriere, die ihn bis in das Amt des Premierministers bringen sollte. Er schlachtete seine Erlebnisse aber auch in Form von Vorträgen und Büchern aus, was ihm einen erheblichen finanziellen Verdienst einbrachte und seine politischen Ambitionen absicherte.
Martin Hochhuber
Zuletzt geändert: 02.06.2015