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Beethoven wird 250 – Interview zur Ausstellung in Bonn

Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt bis zum 26. April eine kulturhistorische Ausstellung über Ludwig van Beethoven. G/GESCHICHTE-Autor Dr. Heiko Schmitz sprach mit Dr. Agnieszka Lulinska, einer der beiden Kuratorinnen der Ausstellung, über die Schau und den Jubilar Beethoven.

Dr. Agnieszka Lulinska, einer der beiden Kuratorinnen der Ausstellung | © privat

G/GESCHICHTE: Wie nähert man sich Ludwig van Beethoven „jenseits von Mythen und Klischees“ – geht das beim neben Mozart sicher berühmtesten Komponisten überhaupt?
Dr. Agnieszka Lulinska: Bei den Ausstellungsvorbereitungen hat uns die Frage beschäftigt, ob er überhaupt als Individuum wahrgenommen wird – und wenn ja, wie dieses Bild aussieht. Vielen ist der Komponist Beethoven weitgehend vertraut, der Mensch Ludwig van Beethoven hingegen erscheint eher schemenhaft. Er ist immer der Musik-Gott, der Titan, der unsterbliche Musik geschaffen hat – eine Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert.

Was wissen die Menschen über Beethoven?
Lulinska: Wenig. Viele wissen, dass er einen großen Teil seines Lebens taub war, aber sonst? Auf der anderen Seite muss man das im Verhältnis betrachten: Was wissen wir schon über den Menschen Mozart? Wir haben in der Ausstellung weitgehend auf die Rezeptionsgeschichte verzichtet und uns stattdessen gefragt, was die Besucher erwarten, wenn sie wegen Beethoven nach Bonn kommen. So haben wir uns entschieden, Beethoven im historischen Kontext in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen zu stellen.

„Ohne adlige Förderer wäre er kaum in der Lage gewesen, sein musikalisches Werk zu schaffen“

Wie sind Sie das angegangen?
Lulinska: Die Ausstellung ist in fünf Kapitel gegliedert, die chronologisch und biografisch angeordnet sind, ergänzt um musikalische Schlüsselwerke, die in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben. Darüber hinaus versuchen wir, den historischen Hintergrund dieser bewegten Epoche zu beleuchten. Beethoven lebte in der sogenannten „Sattelzeit“, also in der Übergangsphase zwischen dem feudalen und dem bürgerlichen Zeitalter. Er gilt als erster freischaffender Komponist – dennoch wäre er ohne adlige Förderer kaum in der Lage gewesen, sein musikalisches Werk zu schaffen. Er ist der vielleicht wichtigste Exponent dieses Wendepunkts – ein Kind seiner Zeit, aber ihr auch in vielem voraus. Wie er damit als Künstler und Mensch umgegangen ist, zeigt die Ausstellung mit vielen sehr persönlichen Exponaten.

Nachbau des historischen Hammerflügels Ludwig van Beethovens | Foto: © Bildkraftwerk/Bernd Lammel

Die Ausstellung in seiner Geburtsstadt wirft die Frage auf, was das spezifisch „Bönnsche“ an ihm ist.
Lulinska: Das „Bönnsche“ an Beethoven ist zweifellos die Stadt selbst. Bonn war zu seiner Zeit kein unbedeutendes Nest und für ihn viel mehr als seine Geburtsstadt. Er hat 21 Jahre hier verbracht, ist hier in eine Musikerfamilie hineingeboren. Bonn war ein bedeutendes Musikzentrum, da sich alle Kurfürsten für die Kunst interessierten. Beethoven ist daher früh Musik und Musikern auf hohem Niveau begegnet. Es gab eine neue Universität und einen intensiven gesellschaftlichen Austausch in einer relativ kleinen Stadt, in der auch die Ideen der Französischen Revolution zu einem frühen Zeitpunkt präsent waren. All das hat er mit nach Wien genommen, wo viele seiner Freunde eine Verbindung nach Bonn hatten. Bonn ist ihm immer Heimat geblieben. Er sprach ja auch mit rheinischer Färbung.

Welches Bild haben Sie persönlich von Beethoven?
Lulinska: Ich habe als Kunsthistorikerin viele Künstler kennengelernt – mein Bild von Beethoven unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, das ich von anderen Künstlern habe. Er glühte für seine Arbeit und Kunst und er war bereit, dafür einiges in Kauf zu nehmen. Er war sicher ein sehr leidenschaftlicher Mensch.

„Beethovens Musik strahlt Kraft und Energie aus“

Wie sehen Sie das Klischee vom ewigen „Grantler“ Beethoven, der wenig für seine Zeitgenossen übrig hatte?

Beethoven war in seiner zweiten Lebenshälfte fast taub, daher benutze er ein Hörrohr | © Beethoven-Haus Bonn

Lulinska: Je länger ich mich mit ihm befasse, desto größere Lust hätte ich, ihm zu begegnen. Das Bild vom Grantler ist vor allem durch bildliche Darstellungen des 19. Jahrhunderts genährt worden, etwa der Lebendmaske, die 1810 in Wien angefertigt wurde. Ihm wurde dabei nasser Gips ins Gesicht geschmiert, er konnte nur durch zwei Strohhalme in der Nase atmen. Das war nicht angenehm und animierte nicht zu einem entspannten Gesichtsausdruck, zumal er wirklich Angst hatte, zu ersticken und die Prozedur mehrfach abbrach. Dazu kommt, dass das Bild vom ernsthaft-einschüchternden Genius gut ins Bild der „Musikreligion“ des späten 19. Jahrhunderts passte. Da war jemand wie Beethoven gar nicht als normaler Mensch zu denken. Nicht zu vergessen: Er war fast seine zweite Lebenshälfte taub und zog sich zurück, weil Begegnungen und Gespräche zunehmend mühsam wurden.

Einige seiner Werke kennt fast jeder, wie den Schlusschor der neunten Symphonie mit der „Ode an die Freude“ oder den Anfang seiner fünften Symphonie, „Für Elise“ oder die Mondscheinsonate, die meisten Schlüsselwerke der Ausstellung wie die Klaviertrios oder die „Missa solemnis“ jedoch nicht. Warum ist er dennoch so populär?
Lulinska: Dass der Großteil der Menschen nur einzelne Werke kennt, betrifft Bach oder Mozart genauso – was ist von Mozart außer dessen „Kleinen Nachtmusik“ wirklich jedem präsent? Beethoven wird so oft gespielt, weil seine Musik so vielschichtig ist. Sie strahlt Kraft und Energie aus, eröffnet Imaginationsräume und ist in ihren leisen Passagen beinahe zärtlich zu nennen. Sie fordert die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer und stellt in ihrer Komplexität auch die Interpreten vor eine Herausforderung. Die größten Musiker unserer Zeit haben Beethoven in ihrem Repertoire – das Angebot ist da und wird angenommen.

 

Neugierig geworden? Ein ausführliches Porträt zu Beethoven finden Sie in der aktuellen G/GESCHICHTE-Ausgabe zum Hundertjährigen Krieg.

 

Ausstellung: Beethoven – Welt.Bürger.Musik

Stieler, Joseph Karl: Beethoven mit der Missa solemnis Ölgemälde, 1819 | © Beethoven-Haus Bonn

 

Bis 26. April 2020 läuft die Schau in der Bundeskunsthalle Bonn in Kooperation mit dem Beethoven-Haus Bonn, Öffnungszeiten und weitere Infos unter www.bundeskunsthalle.de und www.beethoven.de