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Interview: Wie ein Deutscher Japan neu entdeckte

Das Münchner Museum Fünf Kontinente präsentiert bis zum 26. April 2020 Sammelstücke des Arztes Philipp Franz von Siebold, der als erster Europäer des 19. Jahrhunderts das weitgehend abgeschottete Japan erforschte. Wir haben mit den Museumsdirektoren über Siebolds bewegtes Leben und die Ausstellung gesprochen.

Der stellvertretende Museumsdirektor Dr. Bruno Richtsfeld, Museumsdirektorin Dr. Uta Werlich sowie G/GESCHICHTE-Chefredakteure Dr. Klaus Hillingmeier und Dr. Christian Pantle (von links nach rechts) | © Daniel Baum

 

G/GESCHICHTE: Was ist das Besondere an den 300 Exponaten, die Sie in der Sonderausstellung „Collecting Japan“ zeigen?
Dr. Uta Werlich, Direktorin des Museums Fünf Kontinente: Die Objekte wurden gesammelt von Philipp Franz von Siebold, einem Würzburger Mediziner in niederländischen Diensten, der sich von 1823 bis 1830 und von 1859 bis 1862 in Japan aufhielt. Alle gezeigten Objekte stammen von Siebolds zweitem Aufenthalt, als das Land gerade begonnen hatte, sich nach außen zu öffnen. Die Sammlung ist damit einzigartig: Sie stellt gleichsam eine Zeitkapsel des alten Japans unmittelbar vor der Modernisierung dar.
Dr. Bruno Richtsfeld, stellvertretender Direktor des Museums: Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht ganz explizit die Sammlung. Uns geht es nicht so sehr darum, von der Person Siebold zu erzählen. Siebold ist bis vor Kurzem – oder vielleicht immer noch – hier relativ unbekannt. In Japan kennt ihn jedes Kind.

Weshalb ist er in Japan so viel bekannter als in Deutschland?
Richtsfeld: Siebold gilt dort als großer Vermittler von westlichem Wissen. Zu seiner Zeit gab es fast keinen Kontakt zwischen Japanern und Ausländern. Nur Holländer und Chinesen durften in Japan Handel treiben, und auch die waren in winzigen Enklaven im Hafen von Nagasaki kaserniert: Die Holländer mussten das ganze Jahr auf einer kleinen Insel im Hafen bleiben und durften nur bei besonderen Festen kurz die Stadt besuchen.
Weil Siebold aber Arzt war – und als Holländer ausgegeben wurde –, durfte er japanische Patienten behandeln und Schüler unterrichten. Denn es herrschte ein großes Interesse an der westlichen Medizin. Die japanische Heilkunst war zwar als Kräutermedizin ziemlich hochstehend, aber es gab so gut wie keine Kenntnisse in der Chirurgie. Siebold hat zum Beispiel in Japan die erste Star-Operation am Auge durchgeführt.
Werlich: Er konnte so Kontakt zur Bevölkerung aufnehmen und dieses Netzwerk nutzen, um über Mittelsmänner – Studenten, Bekannte – seine Sammlung zusammenzutragen.
Richtsfeld: Er hat ja nicht nur Handwerksarbeiten und Kunstmalereien gesammelt, sondern auch Botanisches, Zoologisches. Es ist unglaublich umfassend, was Siebold alles gesammelt hat. Er war einer der Letzten, die den enzyklopädischen Ansatz Alexander von Humboldts verfolgt haben – Humboldt war sein großes Vorbild.

Konzentriert bei der Sache: Das Rollbild aus der Sieboldschen Sammlung zeigt Kunsthandwerker. Aber nicht jeder in dem Bildausschnitt arbeitet | © MFK/Nicolai Kästner

Im Gegensatz zu Humboldt, der nie liiert war, hatte Siebold ein bewegtes Liebesleben. Seine japanische Lebensgefährtin Kusumoto Taki und die gemeinsame Tochter Ine musste er zurücklassen, als er 1830 das erste Mal Japan verließ – beide durften nicht ausreisen. Was wurde aus seinem Kind?
Richtsfeld: Ine wurde in Japan die erste Frauenärztin. Und war sogar eine Zeit lang Ärztin der Kaiserin.
Werlich: Sie ist recht populär in Japan. Über sie gibt es dort Romane, einen Manga und ein Musical.

Ine war zwei Jahre alt, als ihr Vater Japan verließ, und 32 Jahre alt, als er zurückkehrte. Wie war das Verhältnis zwischen den beiden?
Richtsfeld: Sie haben sich in den drei Jahrzehnten der Trennung mehrfach Briefe geschrieben, standen also immer in Verbindung. Als sich Siebold dann bei seiner zweiten Japanreise 1859 in Nagasaki befand, war Ine seine Betreuerin. Auch seine Schüler haben immer zu ihm gehalten. Bei seiner Rückkehr 1859 waren sie zum Teil auch schon Greise. Trotzdem sind sie zu ihm gepilgert und haben den großen, verehrten Lehrer wieder getroffen.

Nicht alle haben von dem Kontakt zu Siebold profitiert. Ein japanischer Astronom kam dadurch ins Gefängnis und starb – mutmaßlich zu Tode gefoltert.
Richtsfeld: Es handelte sich nicht um einen Schüler Siebolds, sondern um den Hofastronom, einen berühmten Gelehrten. Der As­tronom gab Siebold eine Karte Japans – was verbo­ten war – und erhielt dafür von ihm einen Bericht über die Weltumsegelung des baltischen Admirals Krusenstern von 1803 bis 1806. Die japanischen Intellektuellen waren an solchen Werken sehr interessiert. Sie wollten mehr über den Rest der Welt erfahren und waren zum Teil auch gegen die Abschottungspolitik ihrer Regierung. Der Astronom kam dann wegen der Herausgabe der Karte in Haft. Ob er zu Tode gefoltert wurde oder aus anderen Gründen starb, weiß man nicht. Die Hygiene und Versorgung waren zu der Zeit in den
japanischen wie in den europäischen Gefängnissen alles andere als optimal.

Siebold kam glimpflicher davon. Er wurde nur ausgewiesen und durfte 1830 den Großteil seiner Sammlung mitnehmen. Hat er in der Folge das Bild der Europäer von Japan verändert?
Richtsfeld: Sicher. Der letzte genauere Reise- und Forschungsbericht über Japan lag zu der Zeit mehr als 100 Jahre zurück, er stammte von Engelbert Kaem­pfer, ebenfalls ein deutscher Arzt.

Erstmals seit mehr als 100 Jahren wird Siebolds Japan-Sammlung in dieser Auswahl und mit solchem Aufwand im Münchner Museum Fünf Kontinente präsentiert | © MFK

Siebold hat also weniger das Bild verändert als es überhaupt erst geprägt?
Werlich: Das kann man so sagen. Die große Zeit der Japankunde kommt erst nach Siebold, als sich das Land in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr öffnete und die westlichen Einflüsse langsam zu greifen begannen. Siebold blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1866 ein Kenner des alten Japans.
Richtsfeld: Am Ende seines Lebens wurde er ein bisschen schwierig. Er hat diesen Alleinvertretungsanspruch erhoben, nur er kenne Japan wirklich. Inzwischen kamen aber viele Europäer in das Land, und er hat sich mit einem Teil der zurückgekehrten Japanbesucher regelrecht zerstritten.

Die Sammelobjekte, die Sie nun in der Ausstellung präsentieren, gehören seit 1874 Ihrem Museum. Warum zeigen Sie diese nicht in einer Dauerausstellung?
Richtsfeld: Sie können die Lack­arbeiten und Textilien nicht zu lange öffentlich stehen lassen. Sie verblassen sonst mit der Zeit.
Werlich: In Zukunft wollen wir Ostasien wieder in größerer Breite in einer Dauerausstellung präsentieren. Wir stehen ja in einer langen Tradition der Siebold-Ausstellungen – die erste präsentierte er selbst 1866 hier in München.
Für uns war diesmal das Besondere, dass es sich um ein Kooperationsprojekt mit dem National Museum of Japanese History in Sakura handelt. Die japanischen Kolleginnen und Kollegen haben für ihre jüngste Siebold-Ausstellung die Objekte aus unserer Sammlung ausgewählt.

Es war also ein Pingpongspiel: Die Sieboldschen Sammelstücke Ihres Hauses gingen erst nach Japan und kamen dann wieder zurück.
Richtsfeld: Genau. Es war ein fünfjähriges Joint Venture mit den japanischen Kollegen und Kolleginnen mit dem Ziel, unsere Münchner Siebold-Sammlung im Detail zu erforschen und als Datenbank zu erfassen.
Werlich: Der Gedanke der Kooperation ist uns sehr wichtig. Es gehört zur DNA des Hauses, dass wir mit den Herkunftsländern unserer Objekte kooperieren und im Austausch stehen.

Interview: Klaus Hillingmeier und Christian Pantle
Hinweis: G/GESCHICHTE ist Medienpartner der Ausstellung.

 

 

Ausstellung: Zeitkapsel des alten Japans

Vom 11. Oktober 2019 bis 26. April 2020 zeigt das Museum Fünf Kontinente in München die Schau „Collecting Japan. Philipp Franz von Siebolds Vision vom Fernen Osten“.
Mehr als 300 Exponate bieten einen imposanten Einblick in das weltliche wie religiöse Kunsthandwerk Japans. Alle Stücke stammen aus der Sammlung, die Siebold bei seinem zweiten Aufenthalt in Japan von 1859 bis 1862 anlegte. Der bayerische Staat kaufte 1874 diese Sammlung und verwahrt sie seither. Auch in Japan wird sie sehr geschätzt: 2017 etwa besuchte das japanische Kaiserpaar eine Ausstellung mit den Münchner Exponaten.

Das Museum hat Dienstag bis Sonntag von 9.30 bis 17.30 Uhr geöffnet. Mehr Infos: www.museum-fuenf-kontinente.de

Ausstellungsstücke: 

Die achteckige Schachtel enthält ein Spiel mit 674 fein bemalten Muscheln, jede einzelne eine eigene Miniatur | © MFK/Nicolai Kästner

Neben dem Shintoismus ist der Buddhismus die bedeutendste Religion Japans | © MFK/Nicolai Kästner

Standschirm mit Blumen- und Vögel-Dekor | © National Museum of Japanese History/Tôru Katsuda

Theatergewand aus fein verziertem Stoff | © National Museum of Japanese History/Tôru Katsuda

Mit etwa 300 Einzelobjekten bietet die Ausstellung einen imposanten Einblick in Japans weltliches und religiöses Kunsthandwerk | © MFK/Nicolai Kästner

Stapelkasten (Etagere) | © MFK/Nicolai Kästner