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Interview

Vom Kettensägenmassaker zu „Good Bye, Lenin!“

Wie das Ende der DDR in die Kinos kam, schildern Chris Wahl, Professor an der Filmuniversität Babelsberg, und Ilka Brombach, Leiterin von „moving history“, dem Festival des historischen Films in Potsdam (25. – 29. September 2019).

Filmprofessor Chris Wahl, Festivalleiterin Ilka Brombach und G/GESCHICHTE-Chefredakteur Christian Pantle (von links nach rechts) auf dem Gelände der Filmstudios Babelsberg. | © Maria Jose Rosales

 

G/GESCHICHTE: Ihr Festival des historischen Films widmet sich dieses Jahr der Wendezeit 1989/1990. Sind darunter Beiträge speziell über die Montagsdemonstrationen?
Dr. Ilka Brombach: Die Dokumentation „Leipzig im Herbst“ des ostdeutschen Filmemachers Gerd Kroske. Er begann die Dreharbeiten nur eine Woche nach der berühmten Montagsdemo vom 9. Oktober 1989. Schon Ende des Monats zeigte er den Film in Leipzig.
Prof. Dr. Chris Wahl: Es gibt ansonsten kaum Bild- und Filmmaterial über die ersten Montagsdemos, weil die Staatsmacht sehr restriktiv gegenüber den Medien vorging. Doch kurz darauf entsteht eine ganze Reihe an Filmen. Aus dem Jahr 1990 haben wir vor allem ostdeutsche Dokumentarfilme, aber auch schon erste Spielfilme über die Wende. Die sind gewissermaßen mit heißer Nadel gestrickt.

Welche Spielfilme sind das?
Wahl: Wir zeigen auf dem Festival zwei Beispiele, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Das deutsche Kettensägenmassaker“ von Christoph Schlingensief und „Go Trabi Go“ von Peter Timm. Bei Schlingensief ist die Wiedervereinigung eine Verwurstung, übersetzt in ein B-Horror-Movie, wo Ostler im Westen zu Wurst verarbeitet werden. „Go Trabi Go“ auf der anderen Seite versprüht einen packenden Optimismus, handelt von Mut, Gestaltung, eigener Zukunft. Mit drei Hauptdarstellern aus der DDR, die für diesen Film auch im echten Leben zum ersten Mal nach Italien gefahren sind. Und als sie nach den Dreharbeiten zurückkamen, gab es die DDR nicht mehr.

Wie befassen sich spätere Filme mit den Demos und dem Ende der DDR?
Brombach: Zwei Spielfilme auf dem Festival, „Das Versprechen“ von Margarethe von Trotta und „Bornholmer Straße“ von Christian Schwochow, erzählen die Hauptereignisse des Herbstes 1989. „Stilles Land“ von Andreas Dresen dagegen spielt in der ostdeutschen Provinz. Der Film macht bewusst, dass die Revolution auch in vielen Kleinstädten und kleinsten Orten stattfand – etwa mittels Flugblättern oder Demos von hundert Leuten. Es gibt, glaube ich, keinen Film, der diesen Geist des Herbstes schöner zeigt.

„Man kann keinen historischen Prozess im Film einfach
eins zu eins abbilden“

Dokus, Komödien, Horror – Sie zeigen auf dem Festival ein auffallend breites Spektrum. Was ist Ihre Zielgruppe?
Wahl: Wir haben darauf geachtet, ein harmonisches Ganzes, oder besser gesagt ein heterogenes Ganzes zusammenzustellen. So wollen wir verschiedene Gruppen zusammenbringen: Filmbranche, Wissenschaft, allgemeines Publikum.
Brombach: Zum Programm gehören auch Publikumserfolge wie „Good Bye, Lenin!“ von 2003, in dem eine Frau vor der Wende ins Koma fällt, danach aufwacht, und der Sohn versucht, die alte DDR für sie zu rekonstruieren. Der Film verarbeitet die Erfahrung, dass die Alltagswelt der Ostdeutschen von heute auf morgen, zwischen 1989 und 1991, komplett verschwunden ist.
Wahl: Die DDR-Alltagswelt mit ihren Produkten und Berufen ging so schnell unter, dass man von einem Akt der Zerstörung sprechen kann. Dadurch entsteht automatisch das Bedürfnis, sie in irgendeiner Form zu bewahren. Hier haben die Filme auch museale Funktion.

Was offenbar Schwierigkeiten mit sich bringt. Auf dem Festival organisieren Sie eine eigene Paneldiskussion über „Ausstattung und Kostüm in
Filmen über die DDR“.
Brombach: Man hat das Gefühl, mittlerweile wurde jeder Alltagsgegenstand aus der DDR auch zu einer Filmrequisite gemacht. Und man fragt sich: Wo kommen all die Sachen her? Wer weiß, aus welchen Kaffeetassen man in den 50er- oder 70er-Jahren getrunken hat?

Viele Zuschauer sehen hier wohl sehr genau hin – genauer als etwa bei Filmen über Antike und Mittelalter.
Brombach: Ja. Weil diese Gegenstände Teil des Alltagswissens von Ostdeutschen sind. Wie authentisch die Ausstattung ist, ist daher immer ein Thema bei der Beurteilung des Films.
Wahl: Wobei es traurig ist, wenn sich der Blick allein auf die Frage verengt: Trifft ein Film exakt die Fakten? ­Sehen alle Requisiten aus wie die Originale? Ein historischer Film darf nicht mit einer wissenschaftlichen Arbeit verglichen werden. Er dient der Erinnerungskultur, nicht der Geschichtswissenschaft. Und die Erinnerung ist ­immer verzerrt.
Brombach: Man kann ja keinen historischen Prozess im Film einfach eins zu eins abbilden. Das gilt für Dokumentationen wie für Spielfilme, die die Komplexität von Geschichte herunterbrechen auf Personen, auf dramatische Konflikte.

Erwarten Sie auf dem Festival auch politische Diskussionen? Oder liegt das Ende der DDR dafür zu weit zurück?
Wahl: Ohne Kontroverse wäre ich enttäuscht.
Brombach: Es wird Diskussionen geben. Die Geschichte dampft noch.

Interview: Christian Pantle
Hinweis: G/GESCHICHTE ist Medienpartner des Filmfestivals „moving history“.

 

Festival des historischen Films
– Das Drama der Wendezeit in 40 Filmen

Vom 25. bis 29. September 2019 findet in Potsdam das Festival „moving history“ statt, das vor zwei Jahren Premiere hatte. Es ist das erste deutsche Filmfestival, das nur Kino- und Fernsehproduktionen zu historischen Themen präsentiert. Dieses Jahr lautet der Schwerpunkt: „Als wir träumten – Revolution, Mauerfall, Nachwendezeit“. Das Programm umfasst 40 Dokumentar- und Spielfilme, die 1989/1990 entstanden sind oder sich später mit dem Thema befassen. Das beste aktuelle Werk erhält den Preis CLIO 2019.
Die Festival-Filme laufen im Thalia Programmkino Potsdam und im Filmmuseum Potsdam. Das Einzelticket kostet 7 Euro, der Festivalpass 35 Euro (ermäßigt 6 bzw. 25 Euro). Zudem gibt es Tageskarten, der Eintritt für das Rahmenprogramm ist frei. Alle Tickets sind erhältlich im Online-Verkauf auf www.moving-history.de. Dort finden Sie auch das Programm und weitere Infos.

 


Beiträge auf dem diesjährigen Festival des historischen Films:
„Leipzig im Herbst“ (unten links), „Go Trabi Go“ mit Wolfgang Stumph,
Claudia Schmutzler und Marie Gruber (unten rechts), „Good Bye, Lenin!“
mit Daniel Brühl und Katrin Sass (oben)
© Bavaria Film, DEFA-Stiftung, Ullstein/United Archives