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Sogar der Louvre spielt mit

In Corona-Zeiten digitalisieren die Museen ihre Angebote und hoffen zugleich auf eine Rückkehr der Besucher. G/GESCHICHTE-Autor Heiko Schmitz hat sich in Haltern und Mainz umgesehen und festgestellt: Not macht erfinderisch – und solidarisch.

von Heiko Schmitz

Dr. Lisa Stratmann mit dem Plan für den Bau des Wachhauses am Westtor in Aliso (Haltern). Rechts ist der Grundriss zu sehen. | © Heiko Schmitz

Bislang ist nur der Grundriss des römischen Wachhauses zu erkennen. Geplant ist eine möglichst originalgetreue Nachbildung am Westtor der mehr als 150 Meter langen hölzernen Wehrmauer des Legionslagers im westfälischen Haltern am See. Mit seinen drei Räumen – Schreibstube, Lager und Arrestzelle – soll das Wachhaus nicht nur den Lageralltag rekonstruieren, sondern auch Deutschlands erster „Römer-Escape-Room“ werden. „Das ist einzigartig: Am historischen Ort werden Besuchergruppen eine Belagerungs- und Fluchtsituation nachspielen können und nebenbei dazulernen“, sagt Lisa Stratmann, stellvertretende Leiterin des Römermuseums. Sie ist Projektleiterin für das Wachhaus in „Aliso“, dem sehr wahrscheinlich letzten Lager an der Lippe, das sich nach der verlorenen Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. noch einige Jahre halten konnte. Im Herbst soll der Bau des Wachhauses beginnen, das Teil der landesweiten Ausstellung „Roms fließende Grenzen“ wird. Die soll ab Frühjahr 2022 unter anderem in Köln, Bonn und Xanten stattfinden – in Haltern geht es am 25. März nächsten Jahres los.

3D-Modell der Rekonstruktion: So soll das römische Wachhaus in Haltern aussehen, wenn es gebaut ist. | © LWL/ g+w ingenieurplanung

Wiedereröffnung vertagt

Der Blick in die Zukunft erfolgt nach dem Prinzip Hoffnung, denn die Corona-Gegenwart bremst die Ausstellungsmacher aus. „Wir hoffen, dass es bald besser wird“, sagt Stratmann. Seit Beginn des zweiten Lockdowns im November ist das Museum geschlossen. Aus der für den 26. März geplanten Wiedereröffnung wurde aufgrund der steigenden Corona-Fallzahlen nichts. Theoretisch wären Museumsbesuche mit „tagesaktuellem negativen Coronatest“ gemäß Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Allgemeinverfügung des Kreises Recklinghausen möglich. Doch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) entschied sich dagegen, auch um die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen und weil die Kontrolle von Test-Nachweisen schwierig ist. „Momentan könnten wir nicht guten Gewissens öffnen“, sagt Stratmann.

Museumsrundgang in Coronazeiten – mit Smartphone und Erläuterung für die Online-Besucher. | © Heiko Schmitz

Eine schwere Entscheidung, zumal am 27. März die kleine Sonderausstellung „Aus der Schatzkammer der Cäsaren“ mit Nachschnitten antiker Gemmen des Edelsteingraveurs Gerhard Schmidt aus Idar-Oberstein startete. „In dieser Kombination sind die Gemmen mit ihrem häufig politischen Hintergrund vor allem aus augusteischer Zeit sonst nicht zu sehen“, sagt Stratmann. Sie betont das besondere Konzept der Ausstellung, die am 25. März online eröffnet wurde, mit einfachen Texten zum Lesen und Schmunzeln. Mehr Infos erhält der Besucher über QR-Codes am Objekt. Da das Ausstellungsbesuchern, die nicht vor Ort sein können, wenig nützt, setzt das Museum auf die Online-Präsentation. Mit virtuellen Rundgängen und Führungen mit dem Smartphone wird das museumspädagogische Programm in den Osterferien zu Kindern und Familien digital nach Hause transportiert. „Bisher hatten wir online schon über 800 Besucher, die sonst Führungen vor Ort besucht hätten“, sagt Stratmann. Ohne Corona wären es insgesamt freilich mehr gewesen.

Die Kaiser am Rhein – neu aufbereitet

Ebenfalls ab November geschlossen war das Landesmuseum in Mainz – und somit auch die aufwändige Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“. Sie setzt neue Schwerpunkte beim Blick auf mittelalterliche Machtausübung, etwa hinsichtlich der Rolle der Frauen oder der Städte am Rhein. Seit dem 16. März konnten Besucher dank der entspannteren Corona-Situation in Rheinland-Pfalz mit Anmeldung und Termin wieder kommen – aber nur bis Gründonnerstag. Bis mindestens 11. April ist wieder Feierabend.

Dr. Eva Brachert vom Landesmuseum in Mainz vor einer Schautafel mit wichtigen Schauplätzen mittelalterlicher Geschichte am Rhein. | © Heiko Schmitz

Eva Brachert, stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Technik und Restaurierung des Landesmuseums, ist froh, dass die Ausstellung am 9. September überhaupt wie geplant starten konnte und nicht wie andere komplett verschoben wurde. „Bis November hatten wir schon 12 000 Besucher.“ Anmeldepflicht und Zeitfenster gab es von Anfang an. Auch ist geregelt, wie viele Besucher sich wie lange in den einzelnen Ausstellungsräumen aufhalten dürfen. Zuletzt waren noch 15 Besucher pro Raum zugelassen, sodass maximal 45 Personen zeitgleich in der 400 Quadratmeter großen Ausstellung sein dürfen. Das Personal kündigt die Zeitfenster deutlich an und mahnt pünktlich zum Weitergehen. Brachert macht keinen Hehl daraus, dass sich die Inhalte der von Historikern konzipierten, textlastigen Ausstellung in der verfügbaren Zeit nicht vollständig aufnehmen lassen. „Es sind viele herausragende Objekte, die nicht nur dem Auge etwas bieten“, sagt Brachert. Die vorbereiteten Audio-Guides sind keine Hilfe – sie kommen aus hygienischen Gründen gar nicht zum Einsatz.

Corona beschleunigt Digitalisierung

Symbolbild: Museumsbesuche sind in Corona- und Lockdown-Zeiten schwierig. | © istockphoto.com/jenoche

Die Besucher reagierten anfangs genervt und bisweilen ungehalten, etwa wegen Wartezeiten und Verzögerungen, so Brachert. Doch das Verhalten habe sich geändert, die meisten zeigten Verständnis für Vorsichtsmaßnahmen und Regeln – wohl auch, weil viele froh sind, überhaupt wieder eine Ausstellung live sehen zu können. Immer mehr nutzen Online-Angebote, die Vorträge haben bis zu 200 Teilnehmer. Webseite und digitale Services gewinnen erheblich an Bedeutung für die Reichweite. „Wir haben technologisch einen Sprung nach vorn gemacht“, sagt Brachert. Auf Instagram präsentieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums zweieinhalb Minuten lang ihr „Lieblingsobjekt“.

Die Ausstellung, die Ende April enden sollte, konnte bis zum 13. Juni 2021 verlängert werden – nicht zuletzt, weil sich die meisten Leihgeber trotz auslaufender Leihverträge kulant zeigten. „Einige Objekte mussten ausgetauscht oder das Pergament eines Schriftstücks inzwischen abgedeckt werden, weil es nur begrenzte Zeit Licht ausgesetzt sein darf“, erklärt die Expertin. Insgesamt aber seien das Entgegenkommen und der Zusammenhalt unter den Einrichtungen groß gewesen. Sogar der Louvre spielte mit – aus Paris kamen ein Armreliquiar Karls des Großen und eine karolingische Reiterstatuette. „Wir haben viel miteinander gesprochen und sitzen alle in einem Boot“, weiß Brachert. Der intensive Kontakt unter den Museen sei ein positiver Effekt der schwierigen Lage. Eine weitere Verlängerung der Schau wird es trotz der neuerlichen Unterbrechung nicht geben: „Das geht schon aus konservatorischen Gründen nicht“, sagt Brachert, und aus finanziellen: „Die Versicherungssummen sind hoch.“

 

Weitere Informationen zu den genannten Ausstellungen unter www.lwl-roemermuseum-haltern.de und www.schatzkammer-caesaren.lwl.org sowie www.kaiser2020.de und www.landesmuseum-mainz.de