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Interview

„Richard und John waren Schurken“

Bestseller-Autorin Rebecca Gablé hat eine Reihe Bücher zu den Plantagenets verfasst. Hier erzählt sie, warum sie Richard Löwenherz nicht leiden kann, Eleonore bewundert und das Mittelalter besser war als sein Ruf.

Interview: Christian Pantle

Die 1964 geborene Literaturwissenschaftlerin und Mediävistin Rebecca Gablé erreicht mit ihren historischen Romanen Millionen von Lesern. Am bekanntesten ist ihre Waringham-Reihe. | © Olivier Favre 2019


G/GESCHICHTE: Frau Gablé, Ihr erster historischer Roman „Das Lächeln der ­Fortuna“ spielt im 14. Jahrhundert in der Endzeit der Plantagenet-Herrschaft. Warum haben Sie genau diese Zeit ausgewählt?

Rebecca Gablé: Als ich in den 1990er-Jahren diesen Roman geschrieben habe, ahnte ich nicht, dass daraus eine ganze Reihe – die Waringham-Saga – werden würde. Ich war Studentin der mittelalterlichen englischen Literatur und Sprachgeschichte. Das 14. Jahrhundert war eine kulturelle Blütezeit, wir haben uns im Studium sehr intensiv damit befasst. Zudem war ich fasziniert von den beiden sehr widersprüchlichen Königen dieser Zeit, Eduard III. und Richard II. Ersterer ist immer noch mein Lieblingskönig unter den Plantagenets.

Weshalb?
Ich will ihn jetzt nicht den sanftmütigsten nennen, das wäre bei den Plantagenets dann doch übertrieben (lacht). Aber ich glaube, dass er ein etwas sonnigeres Gemüt hatte als die meisten ­anderen und vom Grundsatz her wohlmeinend war, auch dem Volk gegenüber. Außerdem hat er den Artus-Kult wiederbelebt, und das hat einen enormen Reiz, macht diesen König emotional unwiderstehlich.

„Ich kann Richard Löwenherz überhaupt nicht leiden“

Und welcher Plantagenet ist für Sie der größte Schurke?
Das ist schwierig, die Auswahl ist so groß. Schon Richard Löwenherz und sein Bruder John, auch Johann Ohneland genannt, tun sich in der Kategorie nicht viel. Sie waren beide Schurken.

Die jüngste Ausgabe der Waringham-Reihe, „Teufels­krone“, eroberte Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste

Dabei gilt Richard Löwenherz allgemein als der Gute.
Ich kann ihn überhaupt nicht leiden. Mein jüngster veröffentlichter Roman „Teufelskrone“ hat John als historische Hauptfigur, und ich war ursprünglich angetreten, um ihn ein bisschen zu rehabilitieren und aus der ewigen Schurkenrolle herauszuholen. Aber das ging nicht, das lässt die Quellenlage einfach nicht zu – er hat wirklich schreckliche Dinge getan. Doch Richard hat ebenso schreckliche Dinge getan.

… wie etwa 1191 in Akkon 3000 Gefangene abschlachten zu lassen.
Das war sicher seine schlimmste Tat. Es ärgert mich, dass Richard immer noch dieser Heldennimbus anhaftet. Er wird ja in England ohne Ende verehrt, obwohl er von seinen zehn Regierungsjahren nur sechs Monate dort verbracht hat. Das Land war ihm sowas von egal, es war nur eine Geldquelle für ihn, die er ohne jede Rücksicht ausgepresst hat.

„Richards Eltern Eleonore und Heinrich II. waren Titanen“

In Ihrem Sachbuch „Von Ratlosen und Löwenherzen“ beschreiben Sie die Plantagenets als „schillerndste Königsdynastie des Mittelalters“. Inwiefern haben sie besonders geleuchtet?
Schillernd ist nicht nur positiv gemeint, sondern auch im Sinne von: mit Promi-Allüren, charakterstark mit auch negativen Auswirkungen. Diese Familie hat sehr interessante Persönlichkeiten hervorgebracht. Es fängt ja schon fast mit dem Höhepunkt an: mit Heinrich II. und Eleonore. Diese beiden waren Titanen.

Wobei Eleonore gleich drei Plantagenet-Könige lenkte – neben ihrem Mann Heinrich auch ihre Söhne Richard und Johann alias John.
In meinem jüngsten Roman habe ich mich ausführlich mit ihr beschäftigt. Als John den Thron bestieg, war sie schon um die 77 Jahre alt. Und wenn man sich anschaut, wie wirkungsmächtig sie trotzdem in Johns Regierungszeit noch war, ist das beeindruckend. Als für den französischen Thronfolger eine Braut in der eigenen Familie gefunden werden musste, ist diese hochbetagte Frau über die Pyrenäen nach Spanien gereist, um unter ihren kastilischen Enkelinnen diejenige auszusuchen, die am besten dafür geeignet war. So viel Energie ist unfassbar – und solche Unbeugsamkeit! Selbst von Richards Tod hat sie sich überhaupt nicht ausbremsen lassen. Es muss eine fürchterliche Tragödie für sie gewesen sein, als ihr Lieblingssohn starb, aber sie ist in keinerlei Lethargie verfallen. Diese Frau war wirklich ein Powerhouse.

„Die Magna Carta ist das einzig Positive, das von Johns Regentschaft geblieben ist“

Über das englische Mittelalter hat Rebecca Gablé auch ein so vergnügliches wie fundiertes Sachbuch verfasst: „Von Ratlosen und Löwenherzen“

Nicht nur die Persönlichkeiten, auch einige Errungenschaften aus der Zeit der Plantagenets wirken bis in die Gegenwart nach: die Magna Carta, das erste Parlament, die englische Sprache in der Literatur.
Die Magna Carta ist ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte, da darin unerhörte Dinge stehen wie: Kein Mann darf widerrechtlich gefangen gehalten werden. Man kann sie vielleicht als Erklärung der Menschenrechte im Embryonalstadium bezeichnen. Die Magna Carta ist das einzig Positive, das von Johns Regentschaft geblieben ist – und ausgerechnet diese große Errungenschaft war unfreiwillig. Das ist eine der Ironien der Geschichte, die ich ganz besonders spannend finde.

Trotz solcher Fortschritte gilt das Mittelalter gemeinhin als finstere Epoche. Ärgert Sie das?
Natürlich waren die Zeiten rau und Hinrichtungen grausam. Auch wie die Menschen im Alltag miteinander umgingen, war viel mehr von Gewalt ­bestimmt, als wir es hier in Westeuropa heute als Norm akzeptieren ­können. Aber man war im 14. Jahrhundert noch vergleichsweise liberal, versuchte nur, die Irrgläubigen auf den rechten Pfad zurückzuführen. Die Renaissance ab dem 15. und die Gegenreformation ab dem 16. Jahrhundert waren viel, viel finsterer. Jetzt legte man das Augenmerk auf Bestrafung und Ausrottung.

„Das Mittelalter ist nicht nur eine brutale Zeit der Pest, Kriege und Hungersnöte“

Auch die grauenhaften Hexenver­folgungen ereigneten sich nicht im Mittelalter, sondern erst danach, in der ­frühen Neuzeit.
Ganz genau. Jeder Laie, der das Wort Hexenverfolgung hört, denkt sofort: Mittelalter. Das ist höchst ungerecht.

Auf der anderen Seite fühlen sich sehr viele Menschen zum Mittelalter hingezogen, wie nicht nur der Erfolg Ihrer Bücher zeigt, sondern auch zahlreiche Mittelalter-Märkte und natürlich die Mittelalter-Fantasy wie „Game of Thrones“.
Das Mittelalter ist nicht nur eine brutale Zeit der Pest, Kriege und Hungersnöte, sondern auch eine märchenhaft anmutende Welt von Rittern und Damen. Das Höfische trägt mit der Minne ganz viel Romantik in sich. Die Briten sagen „the age of chivalry“, „das Zeitalter der Ritterlichkeit“, und das trifft es genau. Wir finden dort Ideale, die teilweise heute noch Gültigkeit haben.

 

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