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1964 – 1968

Vietnam: US-Marines im Krieg ohne Fronten

Der Vietcong war eine Armee, die aus dem Schatten operierte, ein Feind ohne klares Gesicht. Die Antwort der US-Strategen hieß „Search & Destroy“ – ein gefährliches Katz- und Mausspiel in Reisfeldern und Dschungeln.

von Klaus Hillingmeier

„Die drei Soldaten“: Statue in Washington DC zum Gedenken an gefallene Soldaten im Vietnamkrieg. | © istockphoto.com/oos

Ein Jahr Schweiß, ein Jahr Dschungel, ein Jahr Angst – das war die Tour of Duty, die ein Soldat in Vietnam abzuleisten hatte. Nur eine Verwundung oder ein Rückflug in einer Transportmaschine voller Särge brachten den Soldat früher in die Heimat zurück. Obgleich in Vietnam zeitweise über 500 000 US-Soldaten stationiert waren, hatte ihr Eingreifen nicht den offiziellen Status eines Kriegs. Daher war der Einsatz in „NAM“ in der Regel auf zwölf Monate begrenzt. Und nicht nur darin unterschied sich Vietnam von den meisten anderen Kriegen in der Geschichte der USA: Es fehlte auch eine klare Front. Der Vietcong schien überall und nirgends zu sein: Unerwartet griff er an, um sich dann wieder in die Sicherheit des Dschungels oder in den Schutz labyrinthischer Erdtunnel zurückzuziehen.

Kämpfer des Vietcong, 1966. | © Wikimedia/George Esper

Trotz aller Unterstützung der USA hatte sich die Armee Südvietnams, die ARVN (Army of the Republic of Vietnam), überfordert gezeigt, so dass Ende 1964 weite Teile des Landes unter der Kontrolle der Kommunisten standen. Innerhalb von vier Jahren hatte sich die Zahl der Vietcong-Kämpfer von 5000 auf 50 000 verzehnfacht. Pessimisten im Pentagon verwetteten auf die Zukunft des südvietnamesischen Regimes keinen Dollar. In dieser Krisensituation forderte General William Westmoreland, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Vietnam, daher neben den 23 000 Ausbildern, Beratern und Spezialkräften auch die Stationierung von regulären Einheiten. Im März 1965 landeten mit der 9. Brigade der US-Marines die ersten Kampftruppen in Vietnam. Bis zum Ende des Jahres stieg die Zahl der US-Truppen im Land auf 184 000. Zudem entsandten auch die Bündnispartner Südkorea, Thailand, Australien sowie Neuseeland Kontingente.

Todesfallen, Giftschlangen und Myriaden von Mücken

Die strategischen Zauberworte, mit den die USA den Vietcong besiegen wollten, hießen „Search & Destroy“ – Suchen und Vernichten. Es galt, den Feind aufzuspüren, ihn in Kämpfe zu verwickeln und dann die materielle Überlegenheit auszuspielen. Für die Infanterie bedeutete dies Patrouillen durch Reisfelder und Dschungel mit 30 Kilo Ausrüstung auf dem Rücken – bei 40 Grad Hitze und mörderischer Luftfeuchtigkeit. Unerwartet konnte der Vietcong angreifen, und solange man noch keine Artillerie- oder Luftunterstützung bekam, war man verwundbar.

Der Vietcong verfügte über ein großes unterirdisches Tunnelsystem. US-amerikanische „Tunnelratten“ kletterten hinab – eine gefährliche Mission. | © Wikimedia/United States Army

Der Vietcong operierte im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Untergrund. Unter den Dörfern und Reisfeldern erstreckten sich unterirdische Tunnelsysteme. Einige dieser Systeme hatten gigantische Ausmaße: das größte umfasste Gänge in der Gesamtlänge von 160 Kilometern. Die US-Soldaten, Tunnelratten genannt, die solche Systeme betraten, lebten äußerst gefährlich, denn es war gängige Praxis beim Vietcong, den ersten GI zu erschießen, um durch dessen Abtransport mehr Zeit zur Flucht zu gewinnen.

Aber auch ohne Feindkontakt waren die Patrouillen riskant: Unter dem Laub konnten Booby Traps lauern, getarnte Erdlöcher mit vergifteten Bambusspitzen. Und selbst die Natur Vietnams schien bösartig zu sein: Myriaden von Mücken, tödliche Skorpione und 131 Arten giftiger Schlangen. Die Frontsoldaten waren blutjung – das Durchschnittsalter der Rekruten lag bei 19 Jahren. Die „Männer“ waren überfordert von einem Krieg, dessen Sinn sie nicht verstanden. Mark Baker, der Hunderte von Vietnam-Veteranen für ein Buch interviewt hat: „Der Krieg, von der Propaganda als eine Art John-Wayne-Männlichkeitstest deklariert, war in Wirklichkeit eine bizarre Version von Peter Pan. Vietnam war ein brutales Nimmerland, außerhalb von Zeit und Raum, wo kleine Jungs nicht erwachsen werden mussten – sie alterten nur vor ihrer Zeit.“

Makaber: Die US-Soldaten zählen die Leichen wie Trophäen

Wie in den meisten Kriegen war die Reaktion auf die extreme Situation eine Verrohung. Nach dem Funkalphabet wurde der Viet­cong als „Victor Charly“ bezeichnet, doch für die Soldaten waren die kommunistischen Kämpfer nur „Gooks“ („Schmierige“). Statt „die Herzen der Menschen“ für sich zu gewinnen, wie es Westmoreland gefordert hatte, machten die Platoons mit angezündeten Hütten und brennenden Reisspeichern Propaganda für den Feind. Hatte man eine Vietcong-Einheit gestellt und vernichtet, folgte das makabere Ritual des Body Counts, bei dem man die Leichen zählte: „Hey, heute ist Trophäentag. Wie viele haben wir erlegt?“. Entgegen militärischem Brauch erhielten die Toten selten eine normale Bestattung. Man warf die Leichen einfach ins Wasser oder verbrannte sie vor Ort. Auch für die gefangenen Vietcong galt nicht die Genfer Konvention – bei den „Verhörspezialisten“ der ARVN war Folter an der Tagesordnung.

Die US-Marines mit Gefangenen. | © Wikimedia

Die „Search & Destroy“-Einsätze der Infanterie waren riskant, regional begrenzt und unflexibel. Die Antwort auf die Forderung nach Mobilität war die „Luftkavallerie“. Statt auf Pferden ritten die Männer der 1. Kavalleriedivi­sion auf Hubschraubern in die Schlacht. Schnell konnte man sie an jedem Ort absetzen und Verstärkung zuführen. Die Aufgaben der Artillerie sollten Kampfflieger übernehmen. Zum ersten Mal wurde diese neue Taktik im November 1965 auf die Probe gestellt, als US-Aufklärer im Tal von Ia Drang eine massive Konzentration von feindlichen Truppen meldeten. Am 14. November wurden im Tal vier Kompanien des 7. Kavallerieregiments abgesetzt. Doch Ia Drang war keine Rückzugsstellung des Vietcong. In den umliegenden Hügeln hatten Truppen der Nordvietnamesischen Volksarmee (NVA) Position bezogen, die über die nahe kambodschanische Grenze eingedrungen waren. Die Situation erinnerte an Dien Bien Phu, nur dass es den US-Truppen wesentlich besser gelang, Verstärkung in die Kampfzone zu bringen und die Truppen durch Luftschläge zu unterstützen. Selbst die interkontinentalen B-52-Bomber aus Guam kamen zum Einsatz. Nach vier Tagen mussten sich die kommunistischen Truppen zurückziehen, da ihre Verluste bei über 2000 Mann lagen. Die Bilanz der US-Amerikaner: 234 Tote und fast genauso viele Verwundete.

„Luftkavallerie“ im Dschungel: Mit Hubschraubern in die Schlacht. | © istockphoto.com/ratpack223

Die Schlacht von Ia Drang, mit überlegenem Materialeinsatz ­gewonnen, war typisch für den Vietnamkrieg. Wenn immer ­möglich, spielten die USA ihre technische Dominanz aus. Bei einigen Kämpfen wurden ganze Landstriche verwüstet: 1967 verschossen die Amerikaner alleine bei den Operationen „Thayer“ und „Pershing“ in der Provinz Binh Dinh 140 000 Granaten und warfen 227 000 Kilo Napalm ab.

Um den Vietcong zu entlasten, verstärkte Nordvietnam seine militärischen Aktivitäten entlang der Grenze zwischen Nord- und Südvietnam. Saigon hoffte so, US-Truppen zu binden und möglicherweise nach Südvietnam vorzustoßen. Weitaus besser ausgerüstet als der Vietcong, mit Fronterfahrung aus dem Ersten Indochinakrieg und geführt von General Giap, war die NVA ein gefährlicher Gegner. Nirgendwo in Vietnam waren die Kämpfe für die US-Truppen härter und verlustreicher. Das besondere Problem der US-Militärs bei der Kriegsführung an der Grenze war, dass der 17. Breitengrad beim Genfer Abkommen als Demilitarisierte Zone (DMZ) festgeschrieben wurde: In die DMZ vorzudringen und weiträumig die Aufmarschstellungen und Nachschublinien der NVA anzugreifen, war aus politischen Gründen untersagt. Eine Verteidigungslinie von ausgebauten Artilleriestellungen, sogenannte „Fire Support Bases“, sollte daher den Vorstoß der NVA abriegeln. Immer wieder wurden Außenposten abgeschnitten und mussten freigekämpft werden. Nur dank der Luftüberlegenheit und des massiven Einsatzes von Boden- und Schiffsartillerie konnte die NVA zurückgeschlagen werden, die mit ihrer Kampfmoral selbst amerikanische Eliteverbände wie die US-Marines vor eine harte Probe stellte.

Lebensader des Vietcong: der Ho-Chi-Minh-Pfad

Man gewann die Kämpfe, verlor durch die brutale Konsequenz der Kriegsführung an Glaubwürdigkeit: Im Zweiten Weltkrieg als Kreuzritter gegen den Faschismus gefeiert, trug die USA plötzlich die Fratze des Aggressors. Im Westen fand die amerikanische Vietnampolitik immer weniger Unterstützung, während zugleich China und die Sowjetunion ihre Kriegshilfe für den kommunistischen Waffenbruder intensivierten. Der Nachschub erreichte Nordvietnam über Schiene oder Seeweg und wurde dann über den Ho-Chi-Minh-Pfad – eigentlich ein ganzes System von Wegen und Trampelpfaden – durch Laos und Kam­bod­scha nach Südvietnam transportiert. Aber nicht nur Waffen und Munition erreichten den Vietcong durch den Dschungel – auch Verstärkung durch Soldaten der NVA.

So viele Tote: Ein Vietnam-Veteran besucht einen Soldatenfriedhof. | © istockphoto.com/JasonDoiy

So täuschte sich General Westmoreland gewaltig, als er Ende 1967 seinem Präsidenten Lyndon B. Johnson meldete, dass der Vietcong 90 000 Mann verloren habe und nicht mehr in der Lage sei, diese Verluste zu ersetzten. Während er von einem baldigen Ende des Kriegs sprach und die US-Truppen verstärkt an die DMZ verlegt wurden, konzentrierten die Kommunisten 70 000 Kämpfer um die Städte Südvietnams. Am Tet-Fest wollte man zuschlagen …

 

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