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"Er ist eben nicht der Messias"

Was bleibt von Obamas Präsidentschaft?

„Manche Opposition zu Obama ist einzig von Rassismus motiviert.“ Im Interview mit G/GESCHICHTE ordnet Bruce J. Schulman, Professor für Geschichte an der Boston University, Barack Obamas Präsidentschaft historisch ein.

Obamas Facebook page

Die Erwartungen an Obamas Präsidentschaft waren hoch. Nicht alle seine Versprechen konnte er erfüllen. | © istockphoto.com/Mattia Pelizzari

G/GESCHICHTE: Herr Professor Schulman, inwiefern unterscheidet sich Barack Obama von seinen Vorgängern?

Professor Bruce Schulman: Das ist schwer zu sagen. Alle bisherigen 44 Präsidenten der Vereinigten Staaten waren verschieden – sie alle hatten verschiedene Ziele und waren unterschiedlich erfolgreich darin, diese Ziele zu erreichen. Bei Barack Obama ist der Unterschied zwischen dem, was er im Wahlkampf angekündigt hat, und dem, was er davon politisch während seiner Regierungszeit umgesetzt hat, am größten. Sein durchschnittlicher Beliebtheitswert liegt bei unter 50 Prozent. Er provoziert bisher noch nicht gekannten Ärger unter seinen politischen Gegnern. Laut einer landesweiten Umfrage sind rund ein Drittel der Wähler der Meinung, Obama sei der schlechteste Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig hat er viele derjenigen enttäuscht, die seine Kandidatur 2008 unterstützt haben. Selbst wohlwollende Beobachter sehen in ihm das Opfer eines funktionsgestörten Kongresses und einer gespaltenen Wählerschaft, was effektives Regieren unmöglich macht.

„Manche Opposition zu Obama ist einzig von Rassismus motiviert“

G/GESCHICHTE: Mit seinem Wahlkampf-Slogan „Yes, we can!“ hat Barack Obama den Menschen damals das große Versprechen gemacht, den Wandel in Amerika einzuleiten. Wie viel Reformer steckt in Obama?

Professor Bruce Schulman: Wenn Sie Barack Obama an seiner Rhetorik von 2008 oder den großen Erwartungen, die Menschen weltweit hatten, messen – die konnte er gar nicht erfüllen. Persönlich finde ich, dass Obamas Präsidentschaft bisher ausgesprochen erfolgreich war, vor allem, wenn Sie zwei Dinge beachten: Zum einen die Struktur des politischen Systems in den USA, die es fast unmöglich macht, auch nur irgendetwas zu schaffen, und zum anderen die extreme Polarisierung, besonders im Kongress, die erfolgreiches Regieren noch schwieriger macht und die vom Rassismus noch verschlimmert wird. Manche Opposition zu Obama ist einzig von Rassismus motiviert.

„Er ist tatsächlich ein Politiker, der unheimlich praktisch denkt“

G/GESCHICHTE: Warum konnte er diese fast schon messianischen Erwartungen an ihn nicht erfüllen?

Professor Bruce Schulman: Weil er eben nicht der Messias ist. Ich glaube, dass er sich zwar als eine transformative Führungspersönlichkeit inszeniert hat, die über der Politik steht und die Regeln, wie Politik gemacht wird, verändern will. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Obama das jemals als mehr als eine zielgerichtete Hoffnung verstanden hat. Ich glaube, er ist tatsächlich ein Politiker, der unheimlich praktisch denkt und an den schrittweisen Wandel glaubt. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Politiker und Präsidenten Obama, der an allmählichen Fortschritt glaubt und dem Redner Obama, der in der Tradition der schwarzen Kirche redet, die etwas Übernatürliches hat. Möglicherweise hat das zu diesen überhöhten Erwartungen geführt. Es gibt ganz offenbar einen Unterschied zwischen dieser inspirierenden Rhetorik und den tatsächlichen Resultaten.

„Ziemlich beeindruckende innenpolitische Erfolge“

G/GESCHICHTE: Also waren die Erwartungen an ihn von Anfang an zu hoch?

Professor Bruce Schulman: Normalerweise messen wir Präsidenten daran, was sie von ihrer innenpolitischen Agenda umsetzen, ob sie die Position der Vereinigten Staaten in der Welt festigen beziehungsweise verbessern können und ob sie bedeutenden kulturellen Wandel herbeiführen. Zwischen 2009 und 2011, in der Zeit nach seinem Amtsantritt bis ein Jahr vor Ende seiner ersten Amtszeit, hat er eine Menge erreicht. Er hat die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression und zwei festgefahrene Kriege geerbt. Obama hat sowohl den Wirtschaftsaufschwung eingeleitet, als auch die amerikanischen Außenbeziehungen neu ausgerichtet. Dabei hat er die Wall Street reglementiert, die Automobilindustrie gerettet, das Staatsdefizit reduziert und ein nationales Krankenversicherungssystem geschaffen, das nun seinen Namen trägt [Obamacare, Anm. d. Red.]. Hinzu kommen einige andere, wichtige Bürgerrechtsgesetzgebungen wie der Lilly Ledbetter Fair Pay Act, ein Gesetz, das faire Bezahlung für alle sicherstellen soll. Das sind alles ziemlich beeindruckende innenpolitische Erfolge. Das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt war von seinem Vorgänger George W. Bush erheblich beschädigt worden. Obama hat nicht alles umsetzen können, was er wollte, aber er hat zumindest formell den Krieg im Irak und in Afghanistan beendet.

Adelaide, Au - May 12, 2012: Even surrounded by protesters against Marriage Equality Obama's message of hope resonates with attendees at a South Australian Equal Rights rally.

Wie kaum ein anderer US-Präsident inspirierte Obama auch Menschen außerhalb der USA, wie hier Demonstranten in Adelaide, Australien, 2012. | © istockphoto.com/Greyboots

G/GESCHICHTE: Und was hat Obama für die amerikanische Gesellschaft getan?

Professor Bruce Schulman: Ich glaube, dass die amerikanische Gesellschaft in den letzten acht Jahren liberaler geworden ist. Wenn Sie mir am Anfang von Obamas Präsidentschaft erzählt hätten, dass in vier Jahren gleichgeschlechtliche Ehen in Amerika erlaubt sein würden, ich hätte Sie für verrückt erklärt. Aber es ist passiert. Das ist nur ein Beispiel für einen im weitesten Sinne historischen, kulturellen und sozialen Wandel. Er verdient nicht unbedingt persönlich alle Anerkennung dafür, aber er bekommt sie, weil wir unseren demokratischen Präsidenten dafür verantwortlich machen. Er ist nicht der erste Präsident, der kulturellen Veränderungen vorangebracht hat – Reagan und Clinton haben das auch getan –, aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat er diese Veränderungen ohne peinliche, persönliche Skandale bewirkt.

„Es hat noch niemals zuvor ein Land, wo die Weißen in der Mehrheit sind, ein nicht weißes Staatsoberhaupt gewählt“

G/GESCHICHTE: Kann man seine Präsidentschaft historisch nennen?

Professor Bruce Schulman: Barack Obama ist er der 14.US- Präsident, der acht volle Jahre gedient hat und erst der 13. Präsident, der direkt im Anschluss an seine erste Amtszeit wiedergewählt worden ist. Auf dieser exklusiven Liste stehen fünf der ersten sieben Präsidenten und vier der letzten fünf, die letzten drei sogar nacheinander. Amerika hat also schon lange nicht mehr solch eine Phase der politischen Stabilität erlebt. Ich glaube aber, dass es von ganz wesentlicher Bedeutung ist, dass wir einen Afroamerikaner als Präsidenten haben; es ist deswegen von so wesentlicher Bedeutung für die amerikanische Geschichte, weil es so viel über den Rassenkonflikt sagt, der im Zentrum unserer Geschichte steht. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liegen sollte, aber ich glaube, es hat noch niemals zuvor weltweit ein Land, wo die Weißen in der Mehrheit sind, ein nicht weißes Staatsoberhaupt gewählt.

„Er hat den Friedensnobelpreis mehr verdient als so manche anderen“

G/GESCHICHTE: Barack Obama ist 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Er wurde vom Komitee in Oslo für seine „außergewöhnlichen Bemühungen um die Zusammenarbeit zwischen den Völkern“ geehrt. Hat Obama den Friedensnobelpreis verdient?

Professor Bruce Schulman: Ich glaube, er hat ihn mehr verdient als so manche anderen, die schon mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden. Aber so kurz nach Beginn seiner Amtszeit, nun ja, das Nobelpreiskomitee macht seine eigenen Statements und das ist auch gut so. [Die Begründung lautete seinerzeit, dass selten zuvor eine Persönlichkeit so sehr die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelt und die Aufmerksamkeit der Welt in Bann gezogen habe, Anm. d. Red.]

 

Zuletzt geändert: 07.10.2016