G/GESCHICHTE-Chefredakteur Christian Pantle gibt einen Einblick in die jüngste Erdgeschichte. Es zeigt sich, dass stabile Temperaturen eine Illusion sind und unsere Vorfahren weit drastischere Klimaänderungen überstehen mussten als wir heute. Eine Analyse.
von Christian Pantle
Vor 10 000 Jahren zeigte sich das volle Ausmaß des Tauwetters, das die Welt der Steinzeitmenschen dramatisch veränderte. Die glitzernde Eisdecke im Norden Europas zog sich rasant zurück – einst hatte sie den Kontinent bis dorthin bedeckt, wo heute Berlin liegt. Gewaltige Schmelzwassermassen flossen in die trockene Ebene, die sich vom heutigen England nach Frankreich, Deutschland und Dänemark erstreckte. Unaufhörlich stieg das Wasser, und es zwang die Menschen, aus ihrer Heimat zu fliehen, die wir heute Doggerland nennen und die nun am Grund der Nordsee liegt.
Es war ein globales Ertrinken. Der Persische Golf, das Gelbe Meer vor China – auch sie waren einst bewohnbare Gebiete. Doch das Ende der letzten Eiszeit ließ den Meeresspiegel dramatisch ansteigen: um 120 Meter in den vergangenen 20 000 Jahren. Phasenweise stieg das Meer um einen halben Meter pro Jahrzehnt – 15-mal mehr als die gegenwärtigen drei bis vier Zentimeter pro Jahrzehnt. Manche Forscher spekulieren, dass aus jener Zeit der weltweit verbreitete Mythos von der Sintflut stammen könnte.
Ein Super-Treibhausklima befeuerte die Artenvielfalt
So extrem der damalige Klimawandel ausfiel, er bildete keine Ausnahme in der Erdgeschichte. Geophysikalische Untersuchungen zeigen, dass das Ökosystem Erde immer wieder radikalen Temperaturänderungen ausgesetzt war. Vor 56 Millionen Jahren beispielsweise ereignete sich eine sprunghafte globale Erwärmung. Der Kohlendioxidgehalt der Luft verdoppelte sich binnen 10 000 Jahren – langsam im Vergleich zur Jetztzeit –, und die Temperaturen kletterten auf Werte, die fünf Grad Celsius über den heutigen liegen.
In dem damaligen Super-Treibhausklima waren die Pole eisfrei, und es kam zu einer enormen Zunahme der Artenvielfalt, wie eine internationale Studie in dem renommierten Fachmagazin Science vor zehn Jahren zeigte. „Die Wärme war also ein Segen für die Biosphäre“, resümiert der Leipziger Geologie-Professor Arnold Müller in seinem Essay für G/GESCHICHTE (im aktuellen Heft zur Eiszeit, siehe Lesetipp unten). „Mit dem Einzug der Kälte in der jüngeren Erdneuzeit ging es dann wieder rückwärts mit der Biodiversität.“
Vor etwa 2,7 Millionen Jahren setzte „die große Vereisung auf der Nordhalbkugel ein“, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schreibt. Erst jetzt bildete sich die permanente Eiskappe, die weite Gebiete Nordamerikas, Grönlands, Skandinaviens und Sibiriens bedeckt. Seither befindet sich die Erde in der Klima-Achterbahn: in einem „fortwährenden Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten“, so das Potsdam-Institut, „bei insgesamt eher niedrigen Temperaturen“.
Eiskernbohrungen in Grönland und in der Antarktis offenbarten dabei einen regelmäßigen Zyklus: Etwa alle 100 000 Jahre erwärmt sich die Erdoberfläche rapide um mehrere Grad Celsius, um dann nach einigen tausend Jahren wieder abzukühlen. Den Grund dafür berechnete der serbische Geophysiker und Astronom Milutin Milankovic in den 1920er-Jahren: Die Erde dreht sich nicht in stets gleichmäßigen Bahnen um die Sonne, sondern sie eiert wie ein taumelnder Kreisel (siehe Bild unten). Dadurch werden die Kontinente im Jahresmittel mal mehr, mal weniger stark von der Sonne beschienen.
Hinzu kommen verstärkende Mechanismen: Schnee und Eis etwa werfen wie ein Spiegel große Teile des Sonnenlichts ins All zurück. Nimmt in den Kaltzeiten ihre Fläche zu, kühlt das den Planeten zusätzlich ab – ein Teufelskreis. In den Eiszeiten sinkt zudem der Kohlendioxidanteil in der Luft, in den Warmzeiten steigt er. Das Treibhausgas bewirkt so einen weiteren positiven Rückkopplungseffekt.
Die gegenwärtige Warmzeit ist nur milde ausgeprägt – bis jetzt
Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren waren die globalen Temperaturen dadurch um gut 6 Grad Celsius niedriger als heute, ergab dieses Jahr eine große Studie, die von Klimaforschern der Universität Arizona geleitet wurde. Die gegenwärtige Warmzeit, Holozän genannt, begann vor 11 700 Jahren und ist bislang relativ milde ausgeprägt: In der vorangegangenen Hochphase vor rund 125 000 Jahren war es deutlich wärmer.
Seit dem Auftreten der ersten menschlichen Hochkulturen blieb das Weltklima relativ stabil – bislang. Es kam nur zu kleineren Schwankungen in der Größenordnung von einem Grad Celsius, die unter anderem auf veränderter Sonnenaktivität beruhen. Doch auch diese zeigten Folgen.
So gab es im letzten Jahrtausend eine mittelalterliche Wärmeperiode mit steigendem Lebensstandard, dann bis ins 19. Jahrhundert die sogenannte Kleine Eiszeit, die geprägt war von Missernten und Hungersnöten, und seither eine Warmphase – die nun verstärkt wird durch die menschgemachten Treibhausgase. Der Weltklimarat IPCC prognostiziert bis zum Ende dieses Jahrhunderts einen globalen Temperaturanstieg um 0,3 bis 4,8 Grad Celsius, je nachdem wie es gelingt, den weltweiten Ausstoß an Kohlendioxid zu bremsen.
Viele Forscher glauben, dass der menschliche Einfluss ein neues warmes Klimazeitalter einläutet, das Anthropozän. Andere argumentieren, dass langfristig die Milankovic-Zyklen stärker sind. „Kanada, Finnland, Schweden, Norwegen und Island werden zu existieren aufhören“, prophezeit etwa der niederländische Geologie-Professor Salomon Kroonenberg. „Alles, was sich in diesen Ländern befindet an Wäldern, Häusern, Brücken und Fabriken, wird die Eiskappe wie ein Bulldozer Richtung Süden schieben.“
Für Geologie-Professor Arnold Müller liegen „sowohl ein kaltes als auch ein warmes Szenario im Bereich der zukünftigen Möglichkeiten“. Der Blick in die Klimageschichte zeige uns vor allem eines: „die Unausweichlichkeit des Wandels“.
Mehr zum Thema Eiszeit lesen Sie in unserem aktuellen Heft.