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Seuchen im Mittelalter

Leben mit dem Tod

Wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, und das bei mangelnder Hygiene, haben Krankheiten leichtes Spiel. Der Tod war ständiger Begleiter der Stadtbewohner im Spätmittelalter.

„Stadtluft macht frei“, besagt ein altes Sprichwort. Eben diese Stadtluft kann aber auch krank machen – insbesondere im Mittelalter: Tödliche Krankheiten standen auf der Tagesordnung. Hervorgerufen wurden sie vor allem durch unzureichende Sauberkeit. Von den heutigen Hygienestandards konnte man damals nur träumen. Die Bevölkerung lebte innerhalb der Stadtmauern immer dichter nebeneinander, was durch den stetigen Zuzug von Neuankömmlingen noch verstärkt wurde. Die vom Leben in ländlichen Gebieten geprägten Menschen mussten sich an die hygienischen Anforderungen, die ein Aufenthalt auf dem engen Raum der Stadt verlangte, erst anpassen. Oftmals behielten sie altbekannte Gewohnheiten bei: Viele warfen Müll und Fäkalien einfach auf die Straßen und kümmerten sich nicht um die Verunreinigung von Brunnen und Flüssen. Überdies hielten manche Stadtbewohner in den eigenen vier Wänden Schweine, Hühner und andere Tiere, die sie auch zu Hause schlachteten. Die Folge: Krankheitserreger konnten sich durch die beengten Wohnverhältnisse, das Trinkwasser und Ratten ideal ausbreiten. Die Stadtregierung versuchte diesen Missständen Einhalt zu gebieten, indem sie strenge Hygienevorschriften erließ und Baumaßnahmen ergriff: Sie ließ Straßen pflastern, Schlachthäuser errichten und Lebensmittel kontrollieren. Über Kanalisation und Abfallbeseitigung verfügten zu dieser Zeit nur wenige Städte.

Ebenso ließ die Körperpflege bei den meisten Menschen zu wünschen übrig. Immerhin gab es beheizte Badehäuser, die für Männer und Frauen gleichermaßen zugänglich waren. Doch das gemeinschaftliche Baden erhöhte zugleich die Gefahr einer Ansteckung: Unter den Besuchern befanden sich oft auch Kranke. Zudem begünstigten Feuchtigkeit und Wärme das Wachstum von Viren und Bakterien. Die eben skizzierten Verhältnisse bereiteten den Nährboden für die Entstehung von schwerwiegenden Krankheiten. Drei von ihnen waren in der spätmittelalterlichen Stadt besonders gefürchtet: Antoniusfeuer, Lepra und Pest.

Mutterkorn: Erst 1630 wurde der Auslöser des „Antoniusfeuers“ entdeckt

Seit dem 11. Jahrhundert wurden zahlreiche Menschen von rätselhaften, mitunter todbringenden Beschwerden heimgesucht. Der belgische Mönch Sigebert von Gembloux notierte in seiner Chronik für das Jahr 1089 folgende Beobachtung: „Es war ein Seuchenjahr, vor allem im westlichen Teil Lothringens, wo viele, deren Inneres das Heilige Feuer verzehrte, an ihren zerfressenen Gliedern verfaulten, die schwarz wie Kohle wurden. Sie starben entweder elendig, oder sie setzten ein noch elenderes Leben fort, nachdem die verfaulten Hände und Füße abgetrennt waren. Viele aber wurden von nervösen Krämpfen gequält.“

Ein charakteristisches Symptom, der brennende Schmerz, gab der Krankheit ihren Namen: Damals bezeichnete man sie als „Heiliges Feuer“ oder „Antoniusfeuer“. Die mittelalterlichen Ärzte waren machtlos. Zuflucht suchten die Patienten im Glauben: Der Schutzpatron, von dem sie sich Hilfe versprachen, war der heilige Antonius. Dies erklärt die Bezeichnung „Antoniusfeuer“. Die mutmaßlichen sterblichen Überreste dieses Einsiedlers aus Ägypten wurden in Saint-Antonine im Südosten Frankreichs aufbewahrt. Im Jahr 1095 bildete sich an diesem Ort der Antoniter-Orden. Als mit der Zeit immer mehr Pilger, die am „Antoniusfeuer“ litten, dorthin kamen, errichteten die Mönche ein Spital, um die Kranken zu pflegen. Der Auslöser der Krankheit aber blieb rätselhaft.

Erst 1630 konnte der französischer Arzt Tuillier das Geheimnis lüften: Auslöser der Krankheit war das Mutterkorn, ein dunkler und sehr giftiger Pilz, der sich am Getreide bildete. Wenn ein Mensch Brot verzehrte, das Mutterkorn enthielt, gelangten die Schadstoffe in den Blutkreislauf. Dies führte zur Verengung der Gefäße, zu Durchblutungsstörung und zum Absterben von Körpergewebe. Weil in Europa seit dem 19. Jahrhundert fast ausschließlich gereinigtes Getreide gegessen wird, gibt es heute kaum noch Fälle von Mutterkornvergiftungen.

Lepra und Pest: Lange rätselten die Ärzte

Nicht weniger gefürchtet war die Lepra, eine von einem Bakterium ausgelöste Krankheit. Die Übertragung erfolgte durch den Kontakt mit der verletzten Haut, der Schleimhaut oder dem Blut eines infizierten Menschen. Mangelnde Hygiene und ein geschwächtes Immunsystem begünstigten eine Ansteckung. Hervorstechendes Symptom war die Degeneration von Nervenzellen, was Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen, Hitze und Kälte zur Folge hatte. Des Weiteren verdickte sich das Blut, so dass Arterien und Venen abstarben. Entgegen eines populären Vorurteils führte Lepra beim Patienten aber nicht dazu, dass Körperteile abfielen. Verantwortlich für dieses grausige Schauspiel waren vielmehr Infektionen, die den Leprakranken heimsuchten und das Gewebe zersetzten. Im mittelalterlichen Europa breitete sich die Lepra ab dem späten 11. Jahrhundert aus: Infolge der Kreuzzüge wurde der Erreger von Palästina und Kleinasien per Schiff in das Abendland importiert. Da die Ärzte kein Gegenmittel kannten, endete diese Krankheit für die Infizierten meist mit einem qualvollen Tod. Wegen der akuten Ansteckungsgefahr schottete man diese armen Seelen von der übrigen Bevölkerung rigoros ab: Sie mussten Warnzeichen geben, ehe sie in die Nähe anderer Menschen kamen, und durften aus keinem öffentlichen Brunnen trinken. Im Umfeld größerer Städte gab es immerhin Leprosenhäuser, in denen sich die Erkrankten unter einigermaßen humanen Bedingungen aufhielten. Ab dem 16. Jahrhundert verschwand die Lepra aufgrund der verbesserten Hygiene aus West- und Mitteleuropa.

Angst und Schrecken von einem schier unvorstellbaren Ausmaß bereitete die Pest. Als diese Seuche im 14. Jahrhundert über Europa hereinbrach, raffte sie ca. 25 Millionen Menschen hinweg, ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Wie bereits die Lepra, so gelangte auch die Pest über den Seeweg vom Orient in den Okzident. Die Hafenstadt Venedig wurde deshalb besonders schwer von dieser Plage getroffen. Der Pesterreger, ein Bakterium, befiel bevorzugt Nager, vor allem Ratten. Er verband sich mit Flöhen, die auf dem Fell dieser Tiere saßen. Die Krankheit wurde übertragen, indem ein Mensch mit Ratten und somit auch mit infizierten Flöhen in Kontakt geriet. Einige Tage nach einem Flohbiss schwollen die Lymphknoten zu regelrechten Beulen an. Hinzu kamen Fieber und Schüttelfrost. Auf engem Raum steckte der Pestkranke seine Mitbewohner an und verbreitete auf diese Weise den Erreger innerhalb der Stadt wie ein Lauffeuer. Wieder einmal tappten die mittelalterlichen Ärzte im Dunkeln. Als Ursache der Pest vermuteten sie ungünstige Planetenkonstellationen, Veränderungen der Luft und giftige Dünste.

Weil die Menschen den Hintergrund dieser Krankheit nicht verstehen konnten, befand sich die Gesellschaft in Aufruhr. Die einen suchten Trost im Gebet, begaben sich auf Prozessionen oder peitschten sich den Rücken blutig, um göttliche Gnade zu erflehen. Wieder andere machten in ihrer Verblendung einen Sündenbock ausfindig: Sie verfolgten und ermordeten zahlreiche Juden. Bis in das 17. Jahrhundert schlug der „schwarze Tod“ immer wieder zu. Er entvölkerte ganze Stadtteile und Landstriche. Der französische Schriftsteller Albert Camus zog aus diesem Umstand eine fatalistische Schlussfolgerung: „Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.“

Daniel Carlo Pangerl