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Teutonisches Wüten

Roms Kampf um Germanien

Ihre gesamte Geschichte hindurch beschäftigte die Römer der Gegensatz zwischen ihrer „Hochkultur“ und den „Barbaren“ aus dem Norden. Vor allem die Germanen blieben ein gefährlicher Gegner.

Leben in Germanien

Verehrung einer Gottheit: So stellte sich der Künstler Albert Schut im 18. Jahrhundert das Leben in Germanien vor. | © Rijksmuseum Amsterdam

 

Die ersten wilden, langmähnigen Kerle, die Rom in Angst und Schrecken versetzten, waren keine Germanen, sondern Kelten. Den Römern freilich war lange Zeit relativ egal, wer genau die Barbaren waren, die sie immerhin zwei Mal an den Rand einer Katastrophe brachten. Das erste Mal zeigten die Kelten schon Anfang des 4. Jahrhunderts vor Christus, auf welch wackligen Füßen die Macht der Römer stand – Fürst Brennus jedenfalls führte seine furchtlosen „Barbaren“ bis Rom und besiegte 387 v. Chr. an der Allia die Römer.
Als die wilden Horden aus dem Norden Rom knapp 300 Jahre später erneut an den Rand einer historischen Niederlage brachten, wussten die Römer nicht, dass es diesmal keine Kelten, sondern Germanen waren – das klärte erst etwa 50 Jahre später ein Mann auf, der so oft gegen Kelten angetreten ist wie niemand sonst: Julius Cäsar, der erstmals zwischen Kelten und Germanen unterschied. Der Historiker Poseidonios von Apameia hatte noch zwei Jahrzehnte vor Cäsars Gallien-Feldzug die Germanen als besonders wilde Kelten betrachtet.

Völkerwanderung: 300 000 Kimbern, Teutonen und Angeln zogen durch Mitteleuropa

Um 115 v. Chr. aber waren es keine Kelten, sondern germanische Kimbern, Teutonen und Angeln, die in Nordfriesland und Jütland loszogen, um neue Siedlungsräume zu finden. 300 000 Menschen wanderten durch Mitteleuropa. Den ersten Konflikt mit den Römern gab es im heutigen Kärnten, wo die Römer ebenso der barbarischen Übermacht unterlagen wie 105 v. Chr. bei Arausio, heute Orange in der Provence. Die Schlappen waren derbe.
Letztlich kam den Römern Fortuna zu Hilfe, denn die Germanen zogen nicht gleich gen Italien. So gewannen die Römer Zeit, unter anderem für Heeresreformen, die das römische Militär zu einer noch effektiveren Kampfmaschine machen sollten – Gaius Marius sei Dank (siehe Kasten). Er brach mit einer schlagkräftigen Truppe 102 v. Chr. nach Südfrankreich auf und traf dort auf Teutonen und Ambronen; die Kimbern hatten den Kurs gewechselt und gingen davon aus, dass sich die Römer von ihren Niederlagen erst mal erholen müssten. Marius aber hebelte Masse und Schlagkraft der Germanen aus, indem er ein weiteres Gemetzel vermied – sechs Tage lang soll das Germanen-Heer spottend an den römischen Soldaten vorbeigezogen sein. Die blieben cool, bis Marius das Schlachtfeld ausgemacht hatte, wo er in einer zweitägigen Schlacht bei Aquae Sextiae Revanche nahm.

Ohne die Germanen hätte Cäsars „De bello Gallico“ nicht funktioniert

Ein Jahr später machte Marius mit den Kimbern bei Vercellae in Oberitalien kurzen Prozess. Was blieb, war das Bild eines Respekt einflößenden Gegners von großem Mut, der extrem aggressiv und todesverachtend agierte. Der sprichwörtliche „Furor Teutonicus“, den wohl der römische Dichter Lucan Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. erfand, blieb stets im kollektiven Gedächtnis der Römer haften. Die Germanen blieben kulturferne Barbaren, die ungerührt von Kälte oder Regen halbnackt und mit gefärbten Haaren, schreiend und mit Schilden klappernd nach vorne stürmten, die wie die Ambronen in der Nacht nach ihrer Niederlage ein „tierisches Heulen und Brüllen“ anstimmten und deren Frauen sich ebenso furchtlos wie ihre Männer mit Äxten und Schwertern auf die Legionäre stürzten – und auf flüchtende Stammesmitglieder. Kollektiver Selbstmord ist überliefert, als Marius ablehnte, die Frauen der Kimbern nicht zu Sklavinnen zu machen.
Dass wir von Cäsar so viel über die Germanen erfahren, hat damit zu tun, dass sein „De Bello Gallico“ ohne die Germanen nicht funktioniert hätte. Eigentlich sollte der Mann ja die schon lange von Rom beherrschte Gallia Narbonensis verwalten, also die französische Mittelmeerküste und ihr Hinterland. Doch Cäsar überzog ganz Gallien mit Krieg, ging höchstes Risiko – und war erfolgreich. Cäsar nutzte clever die Uneinigkeit der Keltenfürsten und -völker, die sich Verbündete suchten, auch unter den Germanen. Den »größten und streitbarsten Stamm der Germanen« nennt Cäsar die Sueben, die angeblich 100 000 Krieger stellten, sich von Milch und Fleisch ernährten, gerne jagten, selbst im Winter nur kurze Fellkleider tragen und ohne Sättel ritten.
Die Sueben zogen unter Ariovist über den Rhein, um als Söldner der Sequaner gegen die Haeduer zu kämpfen, was sie so gut erledigten, dass ihr Heer und Einflussbereich weiter wuchsen. Cäsar ließ selbst die Gallier über die „rohen und unkultivierten Menschen“ klagen und weckte die römischen Ur-Ängste vor den Barbaren, die wieder gen Rom ziehen könnten. Dem musste er vorbeugen: Ariovist, der gar nicht verstand, was Cäsar in den keltisch-germanischen Angelegenheiten verloren hatte, wurde 58 v. Chr. geschlagen, obwohl die Lage weit weniger dramatisch gewesen war als von Cäsar beschrieben. Tatsächlich sei Ariovist ein halber Kelte gewesen, dessen „Scharen genauso keltisiert worden wären wie Dutzende anderer germanischer Stämme rechts und links des Rheins. Ein Marsch auf Rom lag außerhalb seiner Reichweite“,  meint Ralf-Peter Märtin.

Tacitus über Germanien: „ein gestaltloses Land“

Cäsars Strategie aber, Ariovist zum gefährlichen Barbarenfürsten zu stilisieren, ging auf. Unterm Strich ging es dem Römer darum, Gallien bis zum Rhein zu unterwerfen, was ihm nach sechs Jahren auch gelang. Die Germanen interessierten ihn nur als Vorwand und als Söldner im Kampf gegen die Kelten. Ihr unwirtlicher Siedlungsraum interessierte ihn nicht. Denn aus Römer-Sicht war Germanien viel unattraktiver als Gallien – ein „gestaltloses Land voller schauriger Wälder, grässlicher Sümpfe und rauer Gebirge“, schrieb Tacitus, eine weitere tendenziöse Informationsquelle über die Germanen, hundert Jahre später in seiner „Germania“. Tacitus lässt bei allem Staunen und bei aller Sympathie über die „guten Wilden“ keinen Zweifel daran, dass es sich nicht lohnen würde, um dieses Land Krieg zu führen.
Diesen Versuch haben die Römer teuer bezahlt – und zu Tacitus’ Zeiten längst aufgegeben. Denn nach der Erfahrung mit Kimbern und Teutonen hatten die Römer ein zweites germanisches Trauma zu verarbeiten – eines mit weitreichenden Folgen. Im Jahre 9 n. Chr. kam es zur Niederlage dreier römischer Legionen unter Statthalter Publius Quinctilius Varus, die mitten in Germanien, vermutlich im Kalkrieser Land, auf dem Marsch mehrere Tage lang von Germanen überfallen wurden. Nach dieser verheerenden Niederlage dämmerte es dem geschockten Kaiser Augustus, dass es klüger sein könnte, Germanien sich selbst zu überlassen und den Rhein als Grenze des römischen Reiches zu akzeptieren. Alle Strafexpeditionen und Vergeltungsschläge in den Jahren nach der Varus-Niederlage, geführt vom späteren Kaiser Tiberius und Germanicus, änderten nichts mehr daran.

Anarchie im Rheinland im Zeichen des Vierkaiserjahres

Die nächste von Germanen ausgehende Bedrohung war ein Aufstand im beherrschten Gebiet – der Bataveraufstand, an dem gallische und germanische Stämme und Hilfstruppen beteiligt waren. Als „tiefreichende Zäsur in der rheinischen Truppengeschichte und der -Geschichte des –römischen Gallien, aber keine ernstliche Gefährdung der römischen Herrschaft am Rhein“ gilt dem Historiker Dieter Timpe das Geschehen der Jahre 68/69 n. Chr., das für die Römer ähnlich heikel verlief wie der fast zeitgleiche Aufstand der Juden in Palästina. Das Chaos am Niederrhein stand in direktem Zusammenhang mit den Wirren des Vierkaiserjahres um Galba, Otho, Vitellius und Vespasian. Die niedergermanischen Legionen hatten sich im Bürgerkrieg zu Vitellius bekannt, der unter Batavern und Cananefaten Truppen ausheben wollte. Auch nach Vespasians Sieg Ende 69 n. Chr. schwelte der Aufstand der Rheinarmee weiter; es schlossen sich die Friesen und gallische Stämme wie Treverer und Lingonen an – Anarchie machte sich breit, die Legionslager gingen bis auf Mainz in Flammen auf, die Rheingrenze brach zusammen. Zu einem gallischen Sonderreich aber kam es nicht. Zu uneins -waren die Aufständischen, die von Petilius Cerialis militärisch diszipliniert wurden – für Ruhe sorgte dessen Übereinkunft mit dem Bataver Julius Civilis.
Im Spätherbst 70 n. Chr. war Ruhe am Rhein. Und bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts blieb es auch friedlich an der Nordgrenze. In Rom hatte man sich seit Kaiser Tiberius in nüchterner Abwägung der eigenen Möglichkeiten mehr oder weniger damit abgefunden, dass Germanien jenseits des Rheins bis zur Elbe nicht zu unterwerfen war – jedenfalls nicht zu einem vernünftigen Preis. Kontrollierte Defensive war Trumpf. Spätestens mit der Einrichtung der beiden germanischen Provinzen unter Kaiser Domitian war die Expansion beendet, wenn man einmal von seinem Feldzug gegen die Chatten Mitte des 8. Jahrzehnts nach Christus absieht. Die Aktion war mäßig erfolgreich. Domitian ließ sich feiern, obschon die Germanen militärisch nicht geschwächt worden waren – was Tacitus zu der bissigen Bemerkung veranlasste, über die Germanen sei halt mehr triumphiert als gesiegt worden.

Nach den Markommannenkriegen

Also blieb es beim bewährten Grenzprogramm: Verstärkung der Grenzsicherung, Aufnahme politischer Beziehungen, Aufbau von Pufferzonen, zunehmender Handel mit den Germanen, ihre Integration ins Heer und ein wenig Scheckbuch-Diplomatie. Eine richtige Strategie, die Trajan schließlich sogar erlaubte, die Truppenstärke am Rhein auf zwei Legionen zu reduzieren und auch an der mittleren Donau Soldaten für den Partherfeldzug abzuziehen. Auf Dauer freilich nahm der Druck auf die Nordgrenze wieder zu. Der Bevölkerungszuwachs zwang die Germanen zu Wanderungen, die sie direkt in Konflikt mit den Römern bringen mussten. Die Goten zogen nach Südosten, die Vandalen landeten westlich der Provinz Dakien. Gefährlich daran war, dass sich die Germanen bei ihren Zügen zu größeren Verbänden zusammenfanden und dass sie nicht nur zu begrenzten Raubzügen aufbrachen. Im Winter 166/67 n. Chr. überquerten die Langobarden mit 6000 Mann den gefrorenen Rhein und rissen weitere Stämme mit sich: Die Markomannen machten zeitgleich mit Quaden die mittlere Donaugrenze unsicher.
Die Situation eskalierte, als die Römer den Ansiedlungswunsch der Germanen ablehnten. In den Jahren 170 und 171 n. Chr. tobte ein heftiger Abwehrkrieg; sogar in Griechenland und Italien tauchten Germanen auf. Die römischen Truppen mussten von den Grenzen ins Landesinnere rücken, was schnell gelang. Marcus Aurelius schlug 172 n. Chr. die Markomannen an der Donau, 173 n. Chr. die Quaden; erst 175 n. Chr. kam es zum Waffenstillstand. Doch „diese brutalen Kriege hatten ernste Schwächen im nördlichen Verteidigungssystem offenbart“, schreibt die Historikerin Jane Penrose. „Die Auseinandersetzung im Zuge der Markomannenkriege hatte bei den Germanen ein weitreichendes Bestreben ausgelöst, weitere Angriffe auf den Koloss im Süden zu starten. 16 der 33 Legionen Roms verteidigten zusammen mit einer großen Zahl an Hilfstruppen am Ende der Markomannenkriege die Nordgrenze – ein Ende, das sich für die Germanen lediglich als Anfang erweisen sollte.“
Pläne, nach dem Vernichtungsfeldzug gegen Markomannen und Quaden zwei neue Provinzen – eine Marcomannia und eine Sarmatia – einzurichten, wurden nicht weiterverfolgt. Kaiser Commodus war sich der Überforderung und Erschöpfung des Reichs bewusst. Nicht nur territorial, auch militärisch, logistisch und finanziell stieß das Reich längst an seine Grenzen.
Heiko Schmitz

 

Zuletzt geändert: 08.06.2015