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Der Mann, der nie genug bekommt

Aktuell läuft Ridley Scotts neues Historien-Epos „Napoleon“ im Kino. Wir haben den Film schon gesehen und sind nicht völlig überzeugt. 

Rezension von Sonja Nowack

Joaquin Phoenix als Napoleon | Bild: Sony Pictures Entertainment

Eine Million. So viele seiner Männer hat Napoleon laut Abspann in seinen Kriegen in den Tod geführt. Was für eine Bilanz des Schreckens! Ganz überraschend ist das nicht bei dem Mann, der fast ganz Europa unterworfen hat. Sechs von insgesamt 61 Schlachten zeigt der Regisseur Ridley Scott nun in seinem Historien-Epos „Napoleon“, das am 23. November in die Kinos kommt (Filmtrailer am Ende des Artikels). Bemerkenswert: Die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahr 1813, die Napoleons Rückzug aus Deutschland zur Folge hatte, kommt in Scotts Werk nicht vor. Stattdessen nimmt sich der Streifen vor allem viel Zeit für Napoleons ersten großen militärischen Erfolg, die Eroberung der Stadt Toulon 1793, und für seine größte Niederlage bei Waterloo 1815.

Joaquin Phoenix und Ridley Scott arbeiten erstmals seit „Gladiator“ wieder zusammen

Ein eingespieltes Team: Regisseur Ridley Scott (li.) mit Hauptdarsteller Joaquin Phoenix. | Bild: © 2023 Apple/Aidan Monaghan

Für „Napoleon“ haben sich zwei erfolgreiche Hollywood-Stars wieder vereint: 23 Jahre nachdem sie „Gladiator“ gemeinsam gedreht haben, arbeitet Hauptdarsteller Joaquin Phoenix erneut mit dem mittlerweile 85-jährigen Regisseur Ridley Scott zusammen. Sind sie noch immer ein Dreamteam? Zum Teil. Viele Worte bekommt der Zuschauer von Napoleon – herrlich unnahbar und ehrgeizig gespielt von Phoenix – im gesamten Film nicht zu hören. Meist ist der Hauptprotagonist eher griesgrämig unterwegs und lacht ganze zweimal in den 158 Minuten Laufzeit – und in einer dieser Situationen hat er nicht einmal einen wirklichen Grund zum Lachen.

Ermüdungserscheinungen nach der vierten gezeigten Schlacht

Feuer frei! An Schlachten mangelt es „Napoleon“ nicht. | Bild: @ 2023 Apple

Echte Gefühle zeigen sich bei Napoleon nur in Verbindung mit „seiner“ Josephine (Vanessa Kirby), die er vom ersten Augenblick an vergöttert. Die Chemie zwischen dem Oscar-Preisträger Phoenix und Kirby stimmt in jeder Szene, während man Josephines Verbindungen in die Politik und deren Auswirkungen für Napoleons Karriere ruhig mehr hätte herausarbeiten können. Auch die Motivation des Eroberers bleibt im Dunkeln – was treibt ihn an, warum bekommt er nie genug, warum möchte er ganz Europa einnehmen? Hier und da hätte dem Film eine größere geschichtliche Einordnung und eine Landkarte gut getan. Während „Napoleon“ in der ersten Hälfte noch gut Spannung aufbauen kann, lässt das im letzten Drittel spürbar nach: Ab der vierten oder fünften Schlacht stellen sich dann doch Ermüdungserscheinungen ein, und der Zuschauer spürt die zweieinhalb Stunden Laufzeit deutlich.

Überzeugende Schauspieler, aber die Tiefe fehlt

Hier stimmt die Chemie: Vanessa Kirby als Josephine und Joaquin Phoenix als Napoleon. | Bild: © 2023 Apple/Aidan Monaghan

Was bleibt also vom so gehypten Schlachtenfilm? Ein hervorragender Joaquin Phoenix, eine überzeugende Vanessa Kirby und ein gelungenes Szenenbild. Die Atmosphäre des Umbruchs während der Französischen Revolution hat Scott glaubhaft für den Zuschauer eingefangen. Die Schlachten sind gut inszeniert, wenngleich sie an manchen Stellen in Sachen Brutalität unnötig detailliert geraten sind. Am Ende bleibt das Gefühl: Hier wäre mehr drin gewesen. Nicht nur die wichtigsten Stationen des machthungrigen Feldherrn abzuarbeiten, sondern tiefer in die Charakterzeichnung einzusteigen. Wer weiß, vielleicht gibt es das im Director’s Cut zu sehen– der soll stolze viereinhalb Stunden lang sein und zumindest Napoleons große Liebe Josephine genauer beleuchten. Wer im Kino das Geld für den Film nicht investieren will, wartet einfach ab. Nach der Kinolaufzeit erscheint das von Apple produzierte Historien-Epos auf dessen Streamingplattform Apple TV+.

Apple TV 2023, 158 Min., FSK: ab 12

Trailer:

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