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Oskar Kokoschka & Alma Mahler

Die Kunst, der Krieg und die Sexpuppe

Am 6. Juli kommt die gefährliche Liebschaft des Malers und seiner Muse in die Kinos. Als sie ihn verlässt, zieht er aus Verzweiflung in den Weltkrieg, wird berühmt – und lebt mit einem seltsamen Ersatz für seine Geliebte zusammen. Chronologie einer brisanten Affäre.

von Marika Schaertl

Oskar Kokoschka. | Bild: Wikimedia/Hugo Erfurth

Da ist jene Anekdote vom Mai 1911 in Wien. Der berühmte österreichische, spätromantische Komponist und Dirigent Gustav Mahler ist gerade verstorben. Wie üblich soll von dem prominenten Verblichenen eine Gips-Totenmaske angefertigt werden. Eher zufällig wird der junge Maler Oskar Kokoschka auserwählt, der sich mit Porträt-Bildern mehr schlecht als recht über Wasser hält und sich mit Totenmasken ein spärliches Zusatzeinkommen verdient.

An jenem Maimorgen besucht Kokoschka also die Villa, in der Mahlers Leichnam aufgebahrt ist, und macht sich daran, die Gipsmasse für den Abdruck auf die Gesichtszüge des Toten zu klatschen. Unglücklich rutscht ihm dabei die Kelle aus, er schneidet sich tief in die Hand. Auf der Suche nach Verbandsmaterial steht er blutend in der Küche plötzlich der Witwe, Alma Mahler, gegenüber. Sie gießt ihm etwas Schnaps über die offene Wunde und schleckt gierig – sie ist wie des Öfteren etwas angetrunken – den Alkohol schnell mit der Zunge auf, kein Tropfen soll verkommen. Kokoschka ist der schönen Fremden sofort verfallen.

Ob jene etwas bizarre Anekdote, die die Autorin Hilde Berger in ihrer Roman-Biografie erzählt, so ganz stimmt, ist nicht wirklich überliefert. Auf jeden Fall würde sie passen. Sie steht für die leidenschaftlich-zerstörerische Beziehung zwischen Oskar Kokoschka und Alma Mahler, zwei exzentrischen, narzisstischen Persönlichkeiten, eines der wildesten Liebespaare ihrer Zeit. Für ein seltsames Erotik-Drama im Künstlermilieu, eine unkonventionelle, besessene Liebesgeschichte Anfang des 20. Jahrhunderts.

Er neigt zum Unglück, sie ist die Femme fatale

Er: Der damals 25-jährige Maler, Grafiker und Dichter, der sich mühselig als Kunstschaffender durchschlägt. Der bisher nur einmal eine platonische Liebe zu einer Kunststudentin erlebt hat, sich in einer etwas fatalen Unterdrückung durch seine dominante Mutter verfängt und eine zum Unglück neigende Persönlichkeit besitzt.

Alma Mahler. | Bild: Wikimedia

Sie: Die sieben Jahre ältere Femme fatale, die während der letzten Ehejahre mit dem Komponisten Gustav Mahler an ihrem damaligen Wohnsitz in New York von den Amerikanern nur „Pretty Girl“ genannt wird. Geboren unter dem Namen Alma Schindler, Tochter eines Landschaftsmalers und einer Schauspielerin, wird sie schon als 17-Jährige von Größen wie Gustav Klimt umworben und auf der Leinwand verewigt. Sie selbst schreibt einige belanglose Liedchen, aber gibt schnell ihren eigenen kreativen Ehrgeiz auf und erkennt, dass ihre wahre Begabung mehr in der einer angebeteten Muse berühmter Künstler liegt.

Eher zufällig trifft Alma ein Jahr nach der ersten Begegnung Oskar Kokoschka wieder. Ihr Stiefvater Carl Moll, Maler und Kunstförderer, möchte Alma von Kokoschka porträtieren lassen. Das Wiedersehen mündet sofort in eine leidenschaftliche Affäre. Der eher menschenscheue Oskar ist etwas abgestoßen von Almas Rolle als Salondame in der feinen Wiener Society und gleichzeitig fasziniert von ihrem Glanz. Er malt fortan nur noch sie als sein einziges Modell, das ihm für die Zukunft Ruhm bescheren wird.

Heftige Zankereien, leidenschaftliche Versöhnungen

Die Beziehung gerät schnell außer Kontrolle. Er darf nicht bei ihr übernachten und rächt sich, indem er mit anderen Leuten nächtelang durch die Bars zieht. Beide überziehen einander mit Eifersuchtsdramen. Sie erträgt es nicht, wenn er andere Frauen malt – meist reiche, alte Kundinnen seiner Kumpels aus dem Wiener Nachtleben. Er wiederum beklagt, sie dulde in ihren schicken Gesellschaftskreisen „andere Götter“ neben ihm. Er drängt sie, ihn zu heiraten – sie hält ihn trotz aller Passion gern auf Distanz. Nach drei Jahren heftiger Zankereien und umso ­leidenschaftlicheren Versöhnungen wird Alma schwanger. Bereits Mutter einer Tochter sowie eines verstorbenen Mädchens aus der Ehe mit Mahler, beschließt sie, das Kind abzutreiben. Kokoschka ist am Boden zerstört. Alma bricht die Beziehung ab, die Amour ist endgültig zu Ende.

Oskar meldet sich aus Verzweiflung freiwillig im Ersten Weltkrieg an die russische Front. Er wird verwundet, ein Bajonett verletzt seine Lunge, eine Kugel dringt in sein Kleinhirn ein. Er wird ins Wiener Spital verlegt – und denkt immer noch an Alma. Die Ex-Geliebte ist jedoch inzwischen mit dem Architekten Walter Gropius verheiratet, erwartet wieder ein Kind. Vergiss diese Frau, warnen Freunde.

Nach seiner Heilung verschlägt es Kokoschka 1916 erneut als Verbindungsoffizier an die Front. Diesmal detoniert neben ihm eine Granate. Der Künstler wird abermals in die Klinik verlegt, landet in einem Dresdener Sanatorium, Diagnose: unheilbare Nervenzerrüttung. Die besessene Sehnsucht nach Alma lässt ihn nicht los.

Alma in Plüsch: 1919 lässt Kokoschka diese lebensgroße Sexpuppe anfertigen, die seiner verflossenen Geliebten gleichen soll. | Bild: Getty Images/Fine Art Images/Heritage Images

1918 bestellt er bei der Münchner Kunsthandwerkerin Hermine Moos eine nach Almas Abbild gefertigte, lebensgroße Sexpuppe. Ungeduldig schreibt er in einem Brief 1919, ob seine „Geliebte, nach der ich mich verzehre, bald mein wird“. Er schwärmt sehnsüchtig vorab von der „hüllenlosen Nacktheit“ der „künstlichen Frau“ und ihrer „pfirsichrauhen Haut“.

Die künstliche Alma enttäuscht ihn, bleibt aber seine Obsession

Im April 1919 verschickt Hermine Moos die Puppe in einer Kiste nach Dresden. Umgeben von Arzt, Dienstmädchen und Kammerdiener packt Oskar die künstliche Alma aus. Weicher, menschenähnlicher Körper aus Plüschstoff, haselnussbraunes Haar. Kokoschka ist trotzdem bitter enttäuscht und schreit: „Zum Abgewöhnen!“ Dennoch lebt er fortan mit seiner leblosen Gefährtin zusammen. Zwängt sie in feine, durchsichtige Kleider, zieht ihr aus Paris gelieferte Unterwäsche an. Malt ihre Lippen an, spreizt ihre Beine weit, frisiert ihr Haar, bevor er die Puppe in verführerischen Posen zeichnet. Die Pseudo-Alma bleibt seine Obsession.

Irgendwie kriegt er trotz der durchgeknallten Eros-Geschichte und seiner angekratzten Nerven künstlerisch die Kurve. Er ist mehrere Jahre Professor in Dresden, macht sich als expressionistischer Theaterautor und Maler einen Namen. Seine Werke verkaufen sich gut, auch wegen der Alma-Bildnisse.

Dieser Artikel stammt aus unserem Heft „Sparta gegen Athen“ (Zum Bestellen aufs Bild klicken)

1931 geht Kokoschka zurück nach Wien, dann nach Prag, London, Genf und heiratet sogar. Alma wiederum findet nach der Trennung von Gropius erneut einen Promi-Ehemann, den Dichter Franz Werfel, und emigriert in die USA. Oskar und Alma bleiben sich dennoch über Jahrzehnte in einem steten Briefwechsel verbunden.

Als die Ex-Geliebte 70 wird, schreibt Kokoschka ihr Zeilen, die darauf hindeuten, dass sich an seiner Liebestrunkenheit nie etwas geändert hat: „Wir Zwei werden immer auf der Bühne des Lebens sein, wenn widerliche Banalität, das triviale Bild der zeitgenössischen Welt, einer aus Leidenschaft geborenen Pracht weichen muss.“

 

Ab 6. Juli im Kino: „Alma & Oskar“

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