Nach 70 Jahren Wartezeit feiert er jetzt seine Krönung. Lange wegen seiner Marotten geschmäht, ist er dabei, seine neue Rolle zu finden. Ein Porträt.
von Marika Schaertl
Er müsse in seinem früheren Leben ein „Spürhund“ gewesen sein, schnuppere ständig an irgendwas. Rosen, Essen, Haare seiner Liebsten. Er hatte lange einen angejahrten Teddybären mit löchrigem Pelz im Bett. Er startet seinen Tag hinter verschlossener Tür in Boxershorts mit Kopfstand. Schlurft im Morgenmantel mit einem Kassettenrecorder durchs Schloss und hört Geschichtenbücher. Er schläft mit dem Gesicht auf Postsäcken voller Briefe ein und wirft gelegentlich die Fernbedienung in Richtung Fernseher, wenn ihm die Berichterstattung der BBC missfällt.
So oder so ähnlich beschreibt Prinz Harry, Duke of Sussex, seinen Vater Charles III. in seinem neuen Buch „Reserve“ (Penguin Verlag). Und damit sind ja noch nicht alle vermeintlichen Schrullen des neuen britischen Königs beschrieben. „Pa“, wie Harry seinen Erzeuger trotz aller Differenzen liebevoll nennt, hat laut Medienberichten schon seit Jahrzehnten die eine oder andere Schraube locker. Spricht er wirklich mit Blumen und umarmt Baumstämme? Hat er auf Reisen stets einen eigenen Toilettensitz dabei? Sprüht ihm ein eigens dafür angestellter Butler die Zahnpasta aufs Bürstchen? Man weiß es nicht, aber die Geschichtchen klingen zu lustig, um sie in die Klischeewelt der gemeinen Lästereien zu verbannen.
King Charles, so viel steht fest, wird England und den Rest der Welt auch nach seiner offiziellen Krönung zum König am 6. Mai vortrefflich unterhalten. Der seit Jahrzehnten als Witzfigur mit großen Ohren Karikierte sei er indes beileibe nicht, befindet die britische Journalistin und ehemalige Focus-Redakteurin Catherine Mayer in ihrer 2022 aktualisierten Biografie „König Charles III“ (siehe Lesetipp am Ende des Artikels).
Die Öffentlichkeit labt sich genüsslich
an Skandalen und Skandälchen
Der Erstgeborene von Queen Elisabeth und bei seinem Amtsantritt mit 73 Jahren älteste neue Monarch in der britischen Geschichte sei vielmehr ein respektabler Nachfolger. Ein König für das Commonwealth, der die royale Zukunft dadurch sichere, dass er im Schatten ein gemeinnütziges Imperium durch Spenden aufgebaut hat, für Wohltätigkeit und umweltschützerische Belange.
Okay, da sind all die Skandale und Skandälchen im Vordergrund. Zuvorderst die Befindlichkeiten von Harry, der seinem Vater zuletzt vorwarf, er habe ihm nach dem freiwilligen „Megxit“, dem Ausbrechen samt Gattin Meghan nach Kalifornien, nicht mal am Telefon geantwortet. Er sei schon in Jugendjahren ein väterlicher Versager gewesen, als Klein-Harry von Charles im Kinderzimmer etwas emotionslos auf der Bettkante die Nachricht vom Tod der unantastbaren Mutter Diana entgegennehmen musste. Charles, so schien es stets, sei gefühllos, der Realität entrückt. Bestätigt zuletzt durch Kleinigkeiten, zum Beispiel, als der neue König nach dem Tod der Queen zum Amtsantritt seine Urkunde unterschrieb, und er offenbar Palast-Angestellte mit wedelnden Handbewegungen dazu aufforderte, Tintenfässer und das Etui seiner Schreibfeder wegzuräumen. Ist Charles also ein der Welt entfremdeter Tropf?
Ein Leben zwischen Pflichtgefühl
und der Suche nach einem eigenen Sinn
Catherine Mayer zeichnet ein etwas anderes Bild. Sie beschreibt einen Charles, der zwar durchaus „ein Bündel von Widersprüchlichkeiten“ sei, ein eigenwilliger und extravaganter Kerl, geprägt durch die Narben einer strengen Kindheit und Jugend. Mit einer Mutter, die monatelang auf Repräsentationsreisen im Commonwealth abwesend war, noch als er Kleinkind war. Mit einem von deutscher Haltung geprägten Vater, der den sensiblen Knaben ins knallharte Internat Gordonstoun steckte, wo der junge Prinz eiskalte Wasserbäder und allerlei Mobbing durchlitt.
Vielleicht ist es deshalb gar nicht so überraschend, dass Charles früh sein Herz an die eher mütterlich wirkende, unkomplizierte Camilla Shand verlor, die er als Liebe seines Lebens entgegen aller Widerstände jetzt sogar zur Königin macht. Vielleicht auch nicht überraschend, dass er die jungfräuliche Diana Spencer zwar aus Pflichtgefühl ehelichte, aber mit der zu hysterischen Ausbrüchen neigenden „Königin der Herzen“ nie recht was anzufangen wusste.
Womöglich war Charles einfach zu sehr mit seiner eigenen Sinnsuche beschäftigt und dem Wissen, seiner „Mummy“, Queen Elisabeth, einmal ein würdiger Nachfolger werden zu müssen. Zahlreiche Weggefährten beschreiben diese Reise in den letzten Jahrzehnten durchaus als fruchtbar. Ungemein fleißig habe er das Königreich fast jeden Tag mit mehreren Terminen durchstreift, stets darauf bedacht, Gutes zu tun.
Da ist zum Beispiel sein Landsitz Dumfries House in Schottland, Hort der prinzlichen Charity-Aktivitäten und Stätte, an der zahllose bedürftige Bürger der Umgebung in Handwerksateliers und anderen Jobs beschäftigt werden. Neulich gab es unfeine Schlagzeilen, die Stiftung des Königs habe Millionengelder gegen Gefälligkeiten wie verliehene Titel eingeheimst. Die Boulevardblätter mussten dann aber doch zugeben, Charles habe sich nicht ehrenrührig verhalten.
Der Vorwurf, er habe nach der Hautfarbe
von Meghans Baby gefragt, bleibt hängen
Diejenigen, die ihn kennen, bescheinigen ihm auch ganz andere Seiten. Etwa die eines begnadeten Stimmenimitators und großartigen Gastgebers für Kulturschaffende und andere Freunde. Dazu zählt etwa die Schauspielerin Emma Thompson, die schwärmt, Englands First Royal sei ein „Visionär“.
Okay, mitunter entgleiten Charles III. immer wieder mal die Dinge. Da gab es zum Beispiel im Zuge des „Megxits“ und der von Prinz Harry erhobenen Vorwürfe gegen „Pa“ die Geschichte, Charles würde einen alten Kumpel mit asiatischer Herkunft „Sooty“ nennen, ein Schimpfwort wegen der Hautfarbe. Dass er derjenige Royal ist, der vor der Geburt von Meghans und Harrys Sohn besorgt gefragt habe, wie dunkelhäutig das Baby denn werde, ist nicht belegt. Manche Medien bleiben trotzdem dabei.
Zuzutrauen ist es dem König, aber vielleicht mag man ihm zugutehalten, dass er eben in einer Blase mit alten Denkmustern aufgewachsen ist. Dabei hat er sich zuletzt redlich bemüht, im königlichen Haushalt aufzuräumen, sich bescheiden und weltoffen zu gerieren. Keine Krönungszeremonie mit teurem Pomp, keine eigens angefertigte Krone für die geliebte Camilla. Die königlichen Schlösser sollen öfter für Normalsterbliche geöffnet werden, und in den Buckingham Palast, aus dem er seinen in öffentliche Ungnade gefallenen Bruder Andrew rausschmiss, zog Charles gar nicht erst ein.
Was von dem neuen Oberhaupt der britischen Monarchie künftig zu erwarten ist, wird sich wohl erst nach seiner Krönung in der Westminster Abbey abzeichnen. »The King’s Speech«, die königliche Rede, ist längst geschrieben und wurde mehrmals geübt, so viel steht fest. Ob sich Charles in seiner neuen Rolle ebenso majestätisch wie seine stets unfehlbare Mutter geben wird, steht indes zu bezweifeln.
Schließlich gab er erst bei einem Auftritt in einer Moschee im Osten Londons Anfang Februar, Monate nach seiner Eingewöhnung ins hohe Amt, einen drolligen Eindruck. Der König musste seine Schuhe ausziehen und lieferte einen Blick auf armselige Socken: Rechts, mitten über dem großen Zeh, prangte ein großes Loch. Ein peinliches Versäumnis des Kammerdieners? Womöglich ja auch eine royale Message: Seht her, ich bin einer von euch!
Lesetipp:
Catherine Mayer: „Charles III. Mit dem Herzen eines Königs“.
Heyne 2022, € 16,–
Dieser Artikel stammt aus unserem aktuellen Heft „Die Maya – Aufstieg und Kollaps einer Hochkultur“ (Für mehr Infos aufs Bild klicken). Hier bestellen