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Erstaunliche Wissenslücke

Das Mittelmeer zur Zeit des Nationalsozialismus

Eine erstaunliche Wissenslücke hat die Historikerin Christine Isabel Schröder von der Ruhr-Universität Bochum entdeckt: den Mittelmeerraum zu der Zeit von 1933 bis 1945. In deutschen Berichten über die Region tauche diese Epoche so gut wie nie auf.

Mittelmeerkarte

Das Mittelmeer und die angrenzenden Länder heute | © istockphoto.com/Peter Hermes Furian

Laut einem Bericht des Infodienstes Wissenschaft (idw) sei Schröder in Vorträgen zum Mittelmeer immer wieder aufgefallen, dass sie die Periode von 1933 bis 1945 nicht berücksichtigten. Ihre Recherchen bestätigten, dass es über die Zeit fast ausschließlich militärhistorische Betrachtungen zur Mittelmeerregion gibt. Die Bochumer Historikerin möchte nun herausfinden, was die Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus über das mediterrane Gebiet wusste und wie dieses Wissen nach 1945 weitergetragen wurde.

Begriff „Mittelmeer“ im Nationalsozialismus geprägt

Dafür verglich Schröder zum Beispiel Einträge in den großen Konversationslexika „Brockhaus“ und „Meyer“ aus verschiedenen Jahren. Dabei fiel ihr etwa auf, dass die heute üblichen Begriffe Mittelmeer und Mittelmeerraum erst zur Zeit des Nationalsozialismus gebräuchlich wurden; vorher war vom Mittelländischen Meer die Rede.

Große Lücke im Allgemeinwissen

Im „Großen Brockhaus“ von 1955 erhielt der Mittelmeerraum zum ersten Mal einen eigenen, relativ langen Eintrag. Die Zeit von 1933 bis 1945 kommt darin jedoch nicht vor. „Dort steht nichts vom Krieg im Mittelmeerraum, in dem zehntausende Deutsche gekämpft haben“, sagt die Forscherin. Diese Lücke weisen die Lexika laut idw auch heute noch auf. Die Kriegsverbrechen und Massenvernichtungen der Juden, die die Deutschen und ihre Verbündeten im mediterranen Gebiet begingen, seien kaum im Allgemeinwissen verankert. Dies sei umso frappierender, so Schröder, da die Mittelmeerländer nach wie vor zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen gehörten.

Obwohl das Wissen über die Zeit von 1933 bis 1945 in den Konversationslexika nicht niedergeschrieben ist, setzen sich Diskurse aus dieser Zeit laut idw auch nach 1945 fort. Vor der nationalsozialistischen Herrschaft sei das Mittelmeer im „Brockhaus“ noch als „Vermittler zwischen Orient und Okzident“ bezeichnet worden. Das habe sich zur Zeit des NS-Regimes geändert, das den Mittelmeerraum als Ansammlung von politisch zersplitterten Ländern voller Gegensätze sah. So stehe es auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im „Brockhaus“ von 1955 geschrieben.

Ein ausführlicher Beitrag inklusive Bildmaterial findet sich im Onlinemagazin RUBIN, dem Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum.

 

Zuletzt geändert: 15.10.2015