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Die Alpen

Ein Lebensraum der archäologischen Überraschungen

Sabine Bolliger Schreyer, Archäologin am Bernischen Historischen Museum, über die Alpen in der Bronzezeit und warum es schon damals Reihenhäuser gab.

Pfahlbauten

Südseefeeling: Pfahlbauten am Bodensee. | © istockphoto.com/Georg Hanf

 

G/GESCHICHTE: Frau Bolliger, im April eröffnet im Bernischen Historischen Museum die große Wechselausstellung „Die Pfahlbauer – Am Wasser und über die Alpen“. Den Anstoss dazu gab eine überraschende Fundstelle, welche die Archäologie begeistert. Wie kam es dazu?

Sabine Bolliger Schreyer: Im Hitzesommer 2003 entdeckte eine Bergwanderin auf dem Schnidejoch, einem alten Übergang vom Berner Oberland ins Wallis, am Wildhorngletscher einen Gegenstand aus Birkenrinde, der sich als Deckel eines Pfeilbogenfutterals erwies. Die C14-Datierung ergab ein Alter von 4800 Jahren. Durch diesen Fund auf die Örtlichkeit aufmerksam geworden, begann der Archäologische Dienst des Kantons Bern eine systematische Suche im abschmelzenden Gletscher, welche bislang 900 Objekte zu Tage gefördert hat.

 

Aus welchem Zeitraum stammen diese?

Die Funde vom Schnidejoch spiegeln die Klimageschichte wider: nutzbar war der Übergang nur in Warmzeiten der einzelnen Epochen der Urgeschichte. Die ältesten Funde stammen aus der Epoche um 4500 v. Chr., also lange vor Ötzi.

 

Welches waren die bislang wichtigsten Fundstücke, die dort geborgen werden konnten?

Zum Birkenrindendeckel wurde der dazugehörige Rest, ein 1,70 Meter langes Bogenfutteral, das die gesamte Jagdausrüstung aufnahm, gefunden. Geborgen wurden auch ein Hosenbein, Schuhe, ein Bogen sowie Pfeile. Nur vom „Besitzer“ fehlt jede Spur. Faszinierend war auch der Fund einer hölzernen Tasse, die auf 4300 v. Chr. zu datieren ist. Tatsächlich ist aber jeder Fund von grosser Bedeutung, da so immer neue Informationen gewonnen werden, die das Gesamtbild schärfen.

 

Diese Funde belegen, welche Bedeutung die Alpen für den Menschen hatten?

Wie wichtig die Alpen als Lebensraum und Transitland waren, ist seit dem Ötzi-Fund allgemein bekannt. Funde wie jene vom Schnidejoch bestätigen die Rolle der Pässe für den frühen Handel sowie für die Suche und den Austausch von Rohstoffen wie Kupfer oder Jadeit. Auch der Viehtrieb reicht weit zurück, wie diese Funde belegen.

 

Frühgeschichtliches Leben im Voralpenland verbindet man in erster Linie mit den umgangssprachlich als „Pfahlbauten“ bezeichneten Ufersiedlungen. Wie haben diese sich zwischen Stein- und Metallzeit entwickelt?

Pfahlbausiedlungen traten erstmals um 4300 v. Chr. auf und wurden bis 800 v. Chr. genutzt. In der Bronzezeit erreichten sie die Dimensionen kleiner Städte, welche aus genormten „Reihenhäusern“ bestanden. Schwankungen im Seespiegel haben immer wieder Umsiedlungen erzwungen, uns aber wichtige Fundstätten hinterlassen.

 

Warum sind diese Fundstätten für die Archäologie so wertvoll?

Die Verbindung von Feuchtigkeit und Luftabschluss bewahrt organische Stoffe, vor allem Holz, das uns eine sehr präzise Datierung erlaubt. Aber auch Stoffe oder Nahrungsreste bleiben erhalten und geben uns Einblick in den Alltag unserer Vorfahren.

 

Welche Schwerpunkte setzt die Ausstellung in Bern?

Mit den Funden vom Schnidejoch wird die verbindende Rolle der Alpenpässe seit der frühen Geschichte klar gemacht. Darüberhinaus werden Techniken, Lebensformen und Alltag der „Pfahlbauer“ anschaulich vermittelt. Ein spezielles Familienprogramm wendet sich an unsere jungen Besucher.

 

Frau Bolliger, wir danken für dieses Gespräch.

 

Zuletzt geändert: 24.06.2015

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