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Welterbe Federsee

„Ausgrabungen finden heute auch unter dem Mikroskop statt“

Im Federseemuseum wird die Steinzeit lebendig. Im Gespräch mit G/GESCHICHTE erklärt der Leiter Ralf Baumeister, welche Erkenntnisse Forscher auch aus scheinbar unauffälligen Funden ziehen können.

 

Das Federseemuseum ist ein archäologisches Freilichtmuseum mit Rekonstruktionen von Fahlbauten.| © Federseemuseum Bad Buchau

 

G/GESCHICHTE: Herr Dr. Baumeister, was ist so speziell an der Federsee-Region, dass sie in der archäologischen Forschung einen derart hohen Stellenwert besitzt und einige der Pfahlbausiedlungen neuerdings zum UNESCO-Welterbe zählen?

Ralf Baumeister: Da ist zunächst die ausgesprochen hohe Funddichte zu nennen. In den vergangenen knapp 150 Jahren wurden hier rund 20 vorgeschichtliche Siedlungen, 200 Hausgrundrisse sowie unzählige Einzelfunde geborgen. Das Besondere an diesen Funden ist ihre Erhaltung. Im feuchten Milieu des Moores haben auch organische Substanzen die Jahrtausende überdauert, die andernorts längst vergangen sind – Bauhölzer, Textilien aus Pflanzenfasern, botanische Funde und vieles mehr. Aufgrund dieser einzigartigen Bedeutung wurden im Juni 2011 drei Pfahlbausiedlungen am Federsee von der UNESCO als Welterbe ausgewiesen.

 

Welche Konsequenzen hat diese Anerkennung?

Für die Archäologie verbindet sich damit eine höhere öffentliche Wahrnehmung und Wertigkeit, auch was den Erhalt dieser Fundstellen betrifft. Denn durch den Torfabbau liegen sie nahezu ungeschützt unter der Grasnarbe, und Grundwasserverluste führen zu immer schmerzlicheren Einbußen in dieser an archäologischen Zeugnissen einmaligen Landschaft.

 

Was machte den Federsee für Siedler so vieler Kultur-Epochen attraktiv?

Das liegt zum einen an den „Ressourcen“ des Sees. Der Fischreichtum, die Vogel- und Pflanzenwelt bereicherten den Speiseplan der Siedler zu allen Zeiten erheblich. Davon zeugen auch die Funde: Harpunen, Reusen, Angelhaken und Netze für den Fischfang; spezielle Pfeile für die Vogeljagd, das Sammeln von Wassernüssen und Vogeleiern und so weiter. Zudem ließen sich in den baumfreien Uferzonen Häuser und Siedlungen leicht errichten, und je nach Lage bot das Moor auch Schutz vor feindlichen Übergriffen.

 

Kann dies allein die hohe Funddichte des Federseemoores erklären?

Ein weiterer wichtiger, wenn nicht wesentlicher Faktor war die verkehrsgeographische Lage: Vom Federsee aus öffnete das Schussental den Weg in den Süden, an den Bodensee und von dort über die Alpen. An der nur wenige Kilometer nördlich verlaufenden Donau kreuzt der Weg nach Osten und Westen. Zahlreiche Importfunde oder auch technische Innovationen gelangten auf diesen Wegen aus Südosteuropa, vom Balkan, aus dem West- und Südalpengebiet an den Federsee.

 

Und was macht die Fundstätten am Federsee für die Frühgeschichtsforscher so interessant?

Im Blickpunkt der Experten stehen die in einzigartiger Qualität und Vielzahl erhaltenen archäologischen Funde. Sie vermitteln Informationen zur frühen Mobilität, zu den Anfängen der Textilverarbeitung, zur Wirtschaftsweise, dem Hausbau oder vieles mehr. Das Federseemoor war und ist jedoch nicht nur ein Eldorado für Archäologen, sondern auch für Naturwissenschaftler. Die im Moor erhalten gebliebenen organischen Substanzen – wie Samen, Früchte oder Pollen – liefern wertvolle Hinweise auf Ernährungsgewohnheiten, auf den Natur- und Landschaftswandel oder die Klimaentwicklung.

 

Der Federsee spielt daher auch in der Forschungsgeschichte eine wichtige Rolle?

Unbestritten! Bereits 1875 entdeckte man beim Torfabbau im Staatsried eindeutige Befunde von zweiräumigen Rechteckhäusern mit Kuppelbacköfen und Herdstellen. Für lange Zeit blieben dies die einzigen identifizierbaren Hausgrundrisse der Jungsteinzeit.

Die wichtigsten Impulse für die Vorgeschichtsforschung gab es dann in den 1920er und 1930er Jahren: Am Federsee setzte ein zweite, professionelle Forschungsetappe ein, die archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen zu einer siedlungsarchäologischen Disziplin zusammenführten. Mit modernsten Methoden wurden binnen weniger Jahre vier jungsteinzeitliche und eine bronzezeitliche Siedlung fast vollständig freigelegt. Die hier gewonnen Daten aus der Geologie, der Botanik und Zoologie führten zu ersten konkreten Vorstellungen über die ehemalige Ausdehnung des Federsees und seine allmähliche Verlandung sowie über Wirtschaftsweise und Ernährung der vorgeschichtlichen Siedler.

 

Der Zweite Weltkrieg unterbrach dann aber diese fruchtbare Forschungsarbeit?

Erst seit 1979 sind Archäologen und Naturwissenschaftler wieder am Federsee aktiv. Das neu gegründete Referat für Feuchtboden- und Unterwasserarchäologie des Landesdenkmalamtes führt seither zahlreiche Forschungs- und Rettungsgrabungen durch, die es uns ermöglichen, die Besiedlungsgeschichte von der Jungsteinzeit bis in die Eisenzeit detailgenau zu verfolgen. Im Fokus der Forschung stehen dabei Fragen zu den Siedlungs- und Wirtschaftsformen, zur Landwirtschaft und Waldnutzung, zu den Zusammenhängen zwischen Klimaveränderung und Siedlungsdynamik, zu Kulturkontakten, technischen Innovationen und zum Kulturwandel zwischen 4300 und 650 v. Chr.

 

Was zählt für Sie zu den herausragenden Fundstücken am Federsee?

Dazu gehören zweifelsfrei die im Museum ausgestellten Radfunde, die zu den ältesten der Welt zählen. Keinesfalls alltäglich sind auch die 5000 Jahre alten Textilreste, die uns ein Bild vom Erscheinungsbild der Pfahlbaubewohner liefern oder die vielen außergewöhnlichen Jagd-, Fischerei- oder Arbeitsgeräte. Und ausgesprochen spannend finde ich persönlich jene Zeugnisse, die von Religion und dem Glauben der Menschen berichten, und die sich oft erst auf den zweiten Blick erschließen.

 

Nicht alle Federsee-Funde sind also offensichtlich?

Ausgrabungen finden heute auch unter dem Mikroskop statt. Wenn die Geländearbeiten abgeschlossen sind, erfolgt in den Forschungseinrichtungen die Untersuchung der Bodenproben mitsamt dem organischen Material. Diese „unauffälligen“ Funde sind vielleicht der eigentliche Schatz der Federseearchäologie – ohne sie wüssten wir nur einen Bruchteil über die kulturelle, ökologische und ökonomische Entwicklung während der Pfahlbauzeit.

 

Wie versucht das Federsee-Museum den Besuchern das Leben unserer Vorfahren zu vermitteln?

Nachdem im Museum die faszinierenden Originalfunde aus der archäologischen Vergangenheit zu bestaunen sind, öffnet sich beim anschließenden Gang ins Freigelände eine prähistorische Lebenswelt. Nach Ausgrabungsbefunden authentisch rekonstruiert, bieten über ein Dutzend Zelte, Hütten und Häuser unmittelbare Begegnungen mit der Vorzeit am See. Felder mit alten Getreidesorten sowie ein kleines Tiergehege geben Einblicke in Viehwirtschaft und Ackerbau. In der Saison von April bis Oktober wird das archäologische Freigelände zur Bühne für eine lebendige Geschichtsvermittlung: vom Einbaumfahren über vorgeschichtliche Handwerkstechniken bis zu Theateraufführungen.

 

Das Museum durchlief eine umfassende Um- und Neugestaltung. Welche neuen Schwerpunkte gibt es?

Neue archäologische Rekonstruktionen im Maßstab 1:1 gewähren Einblicke in die Lebensumstände weit zurück liegender Zeiten: Ein altsteinzeitlicher Jagdplatz berichtet von Menschen, die vor 15 000 Jahren in der eiszeitlichen Tundra Rentiere und Wildpferde erlegten und dafür an der Schussenquelle ihre mobilen Zelte aufschlugen. Eine Fischfanganlage aus frühkeltischer Zeit zeugt von der fast schon industriell betriebenen Fischerei zu Beginn der Eisenzeit. Sie diente dem Hechtfang – jedoch nicht zum Eigenverzehr, denn als Edelfisch war er den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Und so mag das eine oder andere Filet auf der Tafel jenes Fürsten gelandet sein, der damals auf der Heuneburg an der oberen Donau residierte. Darüber hinaus laden Feuerstellen zum Kochen auf „steinzeitliche Art“ ein, Ruhezonen mit Sitzbänden zum Verweilen, eine Schießbahn zum Training mit Speerschleuder oder Bogen, und von einer drei Meter hohen Aussichtsplattform bietet sich der spektakulären Blick zum Federsee und ins südliche Ried.

 Interview: Franz Metzger

 

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