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Hannibals Weg über die Alpen

Dung als genetische Zeitkapsel

Welche Route wählte Hannibal über die Alpen? Seit rund 2000 Jahren wird darüber gestritten. Im Gespräch mit G/GESCHICHTE zeigt der Mikrobiologe Chris Allen von der Queens Universität in Belfast, wie Naturwissenschaftler Historikern in dieser Frage helfen können.

Durch die Hintertür? Waurm Hannibal den Weg über die Alpen wählte, ist noch unklar. Mikroorganismen liefern Hinweise über die mögliche Route. | ©Rijksmuseum Amsterdam

 

G/GESCHICHTE: Dr. Allen, warum interessieren Sie sich als Mikrobiologe so sehr für Hannibal und seine Geschichte?

Dr. Chris Allen: Persönlich hatte ich immer ein großes Interesse für antike Geschichte. Dann traf ich Bill Mahaney, der seit mehr als 30 Jahren die Frage untersuchte, welche Route Hannibal über die Alpen nahm. Mit ihm war ich 2011 auf einer Expedition. Als Mikrobiologe brachte ich neue Ideen vor. Zusammen entwickelten wir Testideen, die zeigen könnten, welchen Weg Hannibal wählte. Die Indizien, die auf den Col de Traversette deuteten, waren schon ziemlich überzeugend. Sie beruhen vor allem auf der Interpretation antiker Texte durch Experten wie Sir Gavin de Beer und auf Analysen der Geologie, zum Beispiel von Felsstürzen. Wenn wir ein Wasserloch finden könnten, wo er seine Tiere getränkt haben könnte, sollten wir in der Lage sein, Beweise für seine Passage zu finden. Durch Gespräche mit Pferdeinteressierten war klar, dass Pferde beim Trinken koten würden. Aus der Literatur wusste ich auch, dass Pferdedung vor allem aus Organismen besteht, die Clostridien heißen. Diese Clostridien produzieren sogenannte Endosporen, die sehr beständig in der Erde überdauern. Sie sind so etwas wie genetische Zeitkapseln. Wenn wir also Endosporen finden, hätten wir einen Hinweis auf die Clostridien. Indem wir die Karbon-Datierung nutzen, würden sehen, ob wir das Datum von Hannibals Alpenpassage mit der Häufigkeit der Cloristidien abgleichen können.

Pferde haben Angst vor Elefanten

In einem Interview sprachen Sie von der Möglichkeit, Bandwurmeier von Elefanten zu finden. Ist das noch realistisch?

Das ist noch immer möglich. Wir wissen, dass er mit 15 000 bis 20 000 Pferden unterwegs war. Sie können sich vorstellen, dass 20 000 Pferde, die zwei Tage auf einem Feld standen, ein ziemliches Chaos hinterlassen. Wir wissen, dass Hannibal viel weniger Elefanten hatte. Ich glaube, Polybius geht von 37 aus. Wir reden also von sehr viel kleineren Zahlen. Außerdem habe ich eine Kollegin an der Queens Universität, die mit Elefanten gearbeitet hat. Mir erklärte sie, dass man Elefanten nie mit Pferden zusammenbringen würde, da Pferde vor Elefanten erschrecken würden. Ich denke, das ist ein Grund, warum Hannibal Elefanten gegen die feindliche Kavallerie einsetzte. Was ich meine ist, dass es durchaus möglich ist, dass die Elefanten woanders getränkt wurden, dass sie nicht in diesem Morast waren.

Was brachte Hannibal dazu, die Alpen mit seiner Armee zu überqueren, noch dazu im Winter? War das nicht eine lächerliche Entscheidung?

Das war es. Das ist ja auch eines der Hauptargumente, weshalb viele glauben, er habe eine andere Route genommen. Der Weg über den Traversette ist eine der höchsten Alpenpassagen, fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel, und außerdem eine der heimtückischsten, vor allem auf italienischer Seite. Tatsächlich beschreibt Polybius, dass Hannibal eine große Zahl seiner Männer und Tiere beim Abstieg verloren hat. Wir glauben, dass er gezwungen war, diesen Weg zu nehmen. Diese Idee stammt von Gavin de Beer, der vor einigen Jahren darüber geschrieben hat und als erster Experte der Moderne diese Route vorgeschlagen hat. Wir müssen bedenken:  Das ist das vorrömische Reich, die römische Zivilisation war noch relativ jung. Dieser Teil Frankreichs war noch nicht von den Römern besetzt, sondern von den Galliern, der dominierenden Militärmacht in dieser Region. Es gab verschiedene gallische Stämme und einer der mächtigsten Stämme waren die Allobroger. Sie waren eine Art militärischer Supermacht. Hannibal war zweifellos ein brillanter General, er wägte wahrscheinlich das Für und Wider ab. Soll er auf einer der anderen Routen einen Kampf gegen die Allobroger riskieren oder soll er versuchen, durch die Hintertür zu schlüpfen? Ich denke, er hat entschieden, dass er besser durch die Hintertür schlüpft.

Gute Wissenschaft braucht eine gute Hypothese

Hannibals Reise war mehr als die Alpenüberquerung, er überquerte auch die Pyrenäen und den Fluss Rhone. Für den Weg über die Pyrenäen gibt es keine starken Beweise. Können Sie sich vorstellen, zum Beispiel diese Reise über die Pyrenäen genauer zu untersuchen?

Wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, würde ich das zweifellos tun. Aber ich denke, man muss mit einer guten Hypothese beginnen. Das ist so, wie wenn sie einen guten Film drehen. Wenn Sie einen guten Film machen wollen, brauchen Sie ein gutes Drehbuch. Und wenn sie gute Wissenschaft betreiben wollen, brauchen Sie eine gute Hypothese. Um ehrlich zu sein, stecken wir gerade alle unsere Kraft da hinein, gute Daten für diese Route zu haben. Es scheint mir, diese Geschichte hat die Fantasie von allen beflügelt. Wir glauben,jetzt, wie versprochen, mehr Daten liefern zu müssen. Hoffentlich schaffen wir das in den nächsten ein oder zwei Jahren.

Dr. Allen, vielen Dank für das Gespräch.

Joshua Stein

Einen Artikel zum Thema finden Sie in der Augsgabe G/GESCHICHTE 6/2016

Zuletzt geändert: 20.05.2016